Karin Schneider-Jundt – Liedermacherin & Autorin im Rheingau
Meiner Mutter Eva Maria Scheiner wurde die Jugend gestohlen. Sie hat durch die Arbeit im Bergwerk gelitten. Das zugefügte Unrecht hat sie ihr Leben lang nicht losgelassen.
Inhaltsverzeichnis
ToggleAnträge für Kindergeld, Anerkennung als Flüchtling etc. – Ich wurde als Rumäniendeutsche zusammen mit vielen meiner Landsleute am 13.1.1945 kurzfristig zur Arbeitsleistung in die Sowjetunion verschleppt und konnte von dort erst am 18.10.1949 in meine Heimat zurückkehren. Vor der Verschleppung war ich gesund und voll leistungsfähig. Leider hat die schwere Arbeit, der ich mich größtenteils in Kohlebergwerken unter den ungünstigsten Lebensbedingungen unterziehen musste, an meiner Gesundheit bleibende Spuren hinterlassen. Ich habe in der Gefangenschaft infolge der großen Kälte; Nässe und unzureichenden Bekleidung an schwerer Dystrophie gelitten, da die Ernährung besonders in den 3 ersten Jahren völlig unzureichend war und infolgedessen starb eine Anzahl meiner Leidensgefährten.
Die Unterernährung zeigte sich bei mir u.a. in einem den ganzen Körper bedeckenden Hautausschlag, in Darmstörungen und in dauernden Schwächezuständen. Außerdem erlitt ich einen Unfall mit einer Knieverletzung, deren Folgen ich noch nicht überwunden habe. Die ärztliche Behandlung im Lager war äußerst mangelhaft; eine Diagnose meiner Erkrankung wurde mir nicht mitgeteilt. Ich vermag daher nicht anzugeben, ob ich im Frühjahr 1946 eine Art Ruhr oder Typhus durchgemacht habe.
Als ich 1949 in die Heimat entlassen wurde, hatte ich keine Gelegenheit, zur Erholung oder Behandlung zu gehen, da ich für mein am 7.2.1949 in Russland geborenes Kind und für meinen und meiner Mutter Unterhalt sorgen musste. Ich war genötigt, Überstunden zu machen, die naturgemäß an meinen Kräften weiter gezehrt haben.
Ich habe in der Folgezeit bis auf den mir zustehenden Jahresurlaub von je 14 Tagen ohne Unterbrechung gearbeitet, obwohl ich dauernd an den gesundheitlichen Folgeerscheinungen der Gefangenschaft, insbesondere an Schwächeanfällen und Gallenkrämpfen (nachdem ich auch Verhören unterzogen wurde) zu leiden hatte.
Während der Verschleppung brachte ich am 7.2.1949 ein Kind zur Welt – Karin Scheiner.
Meine Tochter hatte ich während der weiteren Zeit der Verschleppung immer bei mir.
Zwischen dem Vater meines Kindes Karin Scheiner, dem ehemaligen Universitätsprofessor Alfred Jundt, und mir bestand die ernste Absicht zu einer Heirat. Leider erlaubten die Verhältnisse im Internierungslager es nicht, dieses Vorhaben zu verwirklichen. Wir waren daher gezwungen, in einer sogenannten „wilden Ehe“ (wie alle anderen Leidensgefährten im Lager) zu leben.
Alfred Jundt entstammte einem deutschen Pfarrhaus aus Bessarabien. Seine Familie wurde schon früher mehrfach von den Russen ins Innere Russlands verschleppt. Über das Schicksal dieser Menschen konnte nichts mehr in Erfahrung gebracht werden. Dank seiner bedeutenden geistigen Fähigkeiten war es A. Jundt gelungen, in verhältnismäßig jungen Jahren an der Universität in Odessa eine Professur zu bekommen. Aus der Schilderung seiner Schwester Hilda Jundt, mit der ich nach meiner Entlassung aus der Internierungshaft in Hermannstadt gelebt habe, weiß ich, dass sich A. Jundt nach dem erfolgten Einmarsch der Deutschen Truppen in Odessa, offen zu seinem Deutschtum bekannt hat.
Er musste daher beim Herannahen der Sowjettruppen 1943 die Stadt seines akademischen Wirkens verlassen und lies sich zunächst in Hermannstadt bei seiner Verwandten (Tante Helene Weber, jetzt wohnhaft in Ulm) nieder, um später bei sich bietender Gelegenheit nach Deutschland zu gehen.
Ehe er diese Absicht verwirklichen konnte, wurde er gemeinsam mit der Masse der jüngeren Volksdeutschen am 13.1.1945 ins Innere Russlands verschleppt. Obwohl ich mit A. Jundt nahezu 2 Jahre zusammengelebt habe, besitze ich über die Art seines Beschäftigungsverhältnisses in Odessa und über seine mögliche Versicherungszugehörigkeit keine Kenntnis. Ich nehme an, dass Ihnen ähnliche Verhältnisse bekannt sind, sodass Sie in der Lage sein werden, hier eine billige, mein Anliegen berücksichtigende Entscheidung zu fällen.
Ich habe A. Jundt das letzte Mal im Lager Lissitschansk im Juli 1949 gesehen. Er wurde von dort ziemlich überraschend in der Nacht weggebracht. Später sagte man mir (im Lager), dass er in einem Schauprozess zu 15 Jahren Freiheitsentzug, offenbar wegen seines Bekenntnisses zum Deutschtum, verurteilt worden ist.
Wie ich Anfang dieses Jahres durch meine in Rumänien verbliebene Schwägerin Hilda Jundt erfahren habe, ist A. Jundt im Jahre 1958 in Russland in einem Gefängnis verstorben. Den Beweis der Vaterschaft des Kindes habe ich durch das Zeugnis der jetzt in Ulm lebenden Tante Frau Helene Weber (Pfarrerswitwe) erbracht.
Weitere Zeugen leben in Rumänien, die ich nicht anführen möchte, da von dorther im gegenwärtigen Zeitpunkt keine zweckdienlichen Mittelungen zu erhalten sein werden. Sämtliche Volksdeutsche leben bekanntlich unter einem starken Druck und laufen Gefahr, sich durch Auskünfte u.U. selbst zu belasten.
Erwähnen möchte ich noch, dass A. Jundt im Lager über seine Herkunft und seinen Werdegang falsche Angaben gemacht hat, da er Vergeltungsmaßnahmen der Russen befürchtete.
Leider wurden Äußerungen gegenüber Mitgefangenen (über seine Vergangenheit), die er zu irgendeinem Zeitpunkt aus Unvorsichtigkeit tat, den Russen zugetragen. Auf diese Weise dürften die Russen Klarheit über die Persönlichkeit und den Wirkungskreis des Alfred Jundt erhalten haben. Was diesem später zum Nachteil gereichte.
Die von Jundt an den Tag gelegte berechtigte Zurückhaltung ist auch ein Grund dafür, dass ich über sein Leben in Rumänien und in der Sowjetzone keine Angaben gemacht habe.
Da ich mich in einem Flüchtlingslager in einer materiellen äußerst schwierigen Lage befinde und für den Unterhalt meines Kindes und meiner Mutter sorgen muss, bitte ich meinem Antrag möglichst bald in einem günstigen Sinne entscheiden zu wollen.
Meine Mutter erhält gegenwärtig vom Sozialamt DM 70.
Wir haben die Sowjetzone am 1.6.1960 nach 2-jährigem Aufenthalt über Berlin auf dem Luftweg verlassen und konnten dabei nur das nötigste Gepäck mitnehmen. Wir sind gezwungen, hier wieder ganz von vorne anzufangen, nachdem wir schon einmal unser Hab und Gut bei unserer Ausreise aus Rumänien zurücklassen mussten. Da uns eine legale Ausreise in die BRD nicht möglich war, konnten wir unsere aus Rumänien mitgebrachten Habseligkeiten (70 kg Gepäck) und die inzwischen in der Zone angeschafften Einrichtungs- und Haushaltsgegenstände nicht nach hierher mitnehmen.
Es ist auch zweifelhaft, ob wir jemals in den Genuss der für Vertriebene und Flüchtlinge vorgesehenen Vergünstigungen kommen werden, da wir in Unkenntnis der durch Fristablauf entstehenden Nachteile zwei Jahre in der Sowjetzone zugebracht haben und nicht innerhalb von 6 Monaten nach der Ausreise aus Rumänien in die Bundesrepublik gekommen sind.
Wir sind weder in Rumänien noch in der Zone von keiner Seite auf diese Fristen hingewiesen worden sind.
Aus dem russ. Lager wurde ich nicht – wie von mir gewünscht – in die BRD entlassen, sondern nach Rumänien (Siebenbürgen.) Dadurch entstand eine jahrelange Wartezeit, die von mir nicht zu vertreten ist. Erst 1958 gelang mir zusammen mit Mutter und Tochter die Ausreise in die DDR zu meiner Großmutter und dann 1960 die Übersiedlung in das Bundesgebiet. Hier erhielt ich den Flüchtlingsausweis A und die Anerkennung als Heimkehrerin nach dem HKG.
Wir haben zu unserer Bitterkeit erleben müssen, dass alleinstehende Frauen es ohne männliche Hilfe besonders schwer haben, sich durch zu setzen und mit den Bestimmungen vertraut werden.
Am 13.1.1945 wurde ich mit allen anderen Leidensgefährten, welche sich zum Deutschtum bekannten, bis zum 18.10.1949, also für fast 5 Jahre, von Rumänien nach Russland in die Bergwerke verschleppt. Zwar als gesundes, aber absolut nicht an so schwere Arbeit gewöhntes Mädchen, musste ich bei unerträglicher Kälte, unzureichender Bekleidung und Ernährung, sowie Beschimpfungen und sogar des Öfteren Schlägen Sklavenarbeit verrichten.
Gleich zu Anfang wurde ich von einem schrecklichen Ausschlag befallen, der jahrelang andauerte. Außerdem blieb die Monatsblutung aus. Nach einem Unfall blieb mein rechtes Knie fast steif und nur nach Monaten wurde es besser. Die Wunde schloss sich auch erst nach über einem Jahr.
Bei meiner Heimkehr führte mich meine Mutter zu einem privaten Spezialisten (ich wollte in kein kommunistisches Krankenhaus) und er stellte Rheuma fest, nachdem ich ewig Schmerzen in den Knien, Rücken und Brust hatte. Es wurden mir Dampf-, Wechsel-Bäder und Massagen verordnet und Stärkungsmittel. Gegen meine Sehstörungen erhielt ich von einem deutschen Augenarzt eine Brille. Dieses Leiden besserte sich bald.
Außerdem mussten wir zu einem Hautspezialisten gehen, weil sich am linken Oberarm eine Knotenbildung zeigte, die plötzlich zusehends größer wurde. Sie wurde als Lupus erkannt und zwar mit Annahme auf Grund von Einstichen (Spritzen, die wir in Russland im Lager erhielten). Ich wurde durch Ausbrennen, Salben in monatelanger Kur (offenes Salzbad, Sonneneinwirkung, Vitamin D Spritzen) ausgeheilt. Die ganze Zeit ging ich dabei zur Arbeit und gab an, eine harmlose kleine Wunde zu haben. Außerdem litt ich unter einer bösen Furunkulose (Rücken rechts); dieses Leiden hatte in Russland unter beiden Achselhöhlen begonnen und musste geschnitten werden. Zuletzt fing noch ein Fußpilzleiden an, welches 3 Jahre dauerte.
Ich muss damit rechnen, dass diese Erscheinungen wieder auftreten können; sie sind lediglich auf meine Internierung zurück zu führen, da ich vorher nie eine Unreinigkeit an meiner Haut feststellen konnte.
Im September 1948 wurde ich im russischen Lager in schwangerem Zustand plötzlich (nach all den Jahren Hunger, Schmutz und Schande ging es uns etwas besser, es kamen Kontrollen aus Moskau, Propagandisten usw.) zum Stab gerufen und von der Geheimpolizei, einem Mann und einer Dolmetscherin verhört. Man wollte allerhand über den Kindesvater und einen gewissen Daniel H. (der auch Pfarrerssohn war, wie ich hier erfuhr), von dem ich vorher nie etwas gehört hatte,) wissen. Da ich über beide nichts aussagen konnte, (ich erfuhr die Wahrheit über den Kindesvater erst nach meiner Rückkehr nach Rumänien von den Verwandten), verlangte er von mir Spitzeldienste (vor allem gegen den Vater meines Kindes) zu leisten.
Weil ich – trotz Drohungen – auf dieses nicht einging, musste ich schließlich ein Dokument unterschreiben, niemandem etwas von diesem Verhör zu sagen. Ich habe damals einen furchtbaren Schock erlitten, unter dem ich bis zum heutigen Tage zu leiden habe.
In Rumänien schrie ich in der Nacht und heute sehe ich mich oft im Lager und weine, bis ich aufwache. Und zwar bei schlechter Witterung. Nur mein Glaube an Jesus Christus, zu dem ich damals fand, hat mich all die Jahre auch nachher fröhlich mein Kreuz tragen lassen.
Ich hatte unter Durchfällen im Lager zu leiden, welche in immer kürzeren Abständen auftraten.
Kurz vor Weihnachten 1948 wurde der Kindesvater im Lager eingesperrt. Ich war hochschwanger und weinte Tag und Nacht. Vielleicht können Sie sich vorstellen, was es für ein Mädchen aus gutem Hause bedeutet, jahrelang Hunger, Schmach und Schande und zuletzt auch noch dieses Verhör ertragen zu müssen.
Es gelang dem Kindesvater sich frei zu machen und am 7.2.1949 kam unser Töchterchen Karin zur Welt. Durch die Unterernährung vorher und durch die körperlich zu schwere Arbeit war die Geburt sehr schwer und gelang nur durch einen künstlichen Eingriff. Ich wurde erst am nächsten Tag genäht.
Nach 3 Tagen stellte sich Fieber ein und furchtbare Schmerzen in der linken Nierengegend und Rücken. Ich wurde mit einem dünnen Gummischlauch abgeschnürt und man führte mir ein Röhrchen in den Harnleiter ein. Es ergab keinen Nierenbefund, sondern Erkältung des Rückens. Nach 10 Tagen wurde ich entlassen und hatte anschließend in kurzen Zeitabständen ständig lange Blutungen, ewige Rückenschmerzen und Hunger. Im Juli 1949 wurde der Kindesvater plötzlich auf Nimmerwiedersehen weiterverschleppt. Damals dachte ich den Verstand zu verlieren. Nur die Erscheinung eines großen Kreuzes und mein Glaube daran ließen mich aushalten.
In Rumänien ging meine Mutter mit mir zu unserem Frauenarzt. Er stellte fest, dass die Gebärmutter hinten angewachsen, geknickt und gesenkt sei. Verschrieb Stärkungsmittel und verbot Heben und Sport. In Rumänien verkehrte ich nur heimlich mit den Verwandten des Kindesvaters, um meinem Kind nicht zu schaden, da die Familie auch belastet war.
Seit meiner Heimkehr litt ich weiter unter Durchfällen, die mit Erbrechen (welches ich nicht konnte und ohnmächtig wurde) begleitet waren. Meine rheumatischen Schmerzen wurden immer schlechter, besonders im Herbst/Winter. Ich hatte schwere Hexenschuss Anfälle und musste von der Ev. Kirche Vitamin B-Forte Spritzen bekommen. Diese Leiden sind nur auf meine Internierung zurück zu führen, ich habe vorher nie so etwas gehabt.
1953 wurde ich plötzlich auf meiner Arbeitsstelle (Stenotypistin in Rum.-Russ. Versicherungsanstalt) von demselben Mann, der mich in Russland verhört hatte, wiederum bei verschlossener Türe verhört. Am Abend kam er in unsere Wohnung (Mutter mit Kind mussten in den Nebenraum) und quälte mich stundenlang mit Fragen und wollte mich zuletzt mitnehmen.
Ich bat ihn, mich arbeiten gehen zu lassen, da ich eine gute Stenotypistin und dringend benötigt sei. Ich erhielt ab 20 Uhr Ausgehverbot und musste ständig zu seiner Verfügung dastehen. Damals trat bei mir zum ersten Mal ganz deutlich ein stechender Schmerz in der linken und rechten Brustseite auf. Außerdem wie Blitze in meinem Kopf. Einzig mein Gedanke an Jesus und meine Zuflucht zu armen, gläubigen Geschwistern im Herrn, (Adventisten), wo ich mich ausweinen konnte, haben geholfen, dass es mir so weit ging, meine Arbeit weiter verrichten zu können und dazu ein freundliches Gesicht zu machen.
Im Jahre 1958 gelang es uns endlich, nach Leipzig zu kommen. Hier merkte ich bald, dass dieser Kerl (Herr S. hieß er angeblich) auch hier erscheinen könnte. Ich litt ständig unter Angstgefühlen. Ich kurierte an mir herum, nahm alles, was mir verschrieben wurde.
Als wir 1960 über Berlin-Marienfeld fliehen konnten, hatte ich dort einen ganz schweren Anfall (Ohnmacht, Erbrechen, Durchfall, Schmerzen in der rechten Brustseite) und der Arzt stellte Gallensteine fest. Ich erhielt Diät.
Im Lager Weingarten kam ich zu Dr. N. in Behandlung.
Ich kann nicht begreifen, dass meine Leiden, die durch die 5 Jahre Russland verursacht wurden, von Ihnen nicht als Folgen der Deportierung anerkannt werden.
Wenn auch die von mir angegebenen Gesundheitsstörungen z.Zt. noch keine messbare M.d.E. ergeben (obwohl ich halbtags arbeite, weil immer wieder große Ermüdungserscheinungen auftreten), so bitte ich die angegebenen Leiden trotzdem als Schädigungsfolge im Sinne des BVG anzuerkennen, damit später, im Falle einer Verschlimmerung, ein erneuter Antrag gestellt werden kann.
Ich bitte also, meine Angelegenheit noch einmal von diesem Gesichtspunkt aus zu überprüfen.
Ich gebe dir Einblick meiner Mutter, damit wir alle – gerade in der aktuellen politischen Situation – uns immer wieder das grausame Schicksal von Verschleppten und Flüchtlingen vergegenwärtigen und der künstlerische Nachlass von Eva Maria Scheiner möglichst in einer Retrospektive gezeigt wird.