Zur Person Karin Schneider: Einleitung
Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Gräueltaten, die Schicksale der betroffenen Familien, all das Unfassbare ruft in
WeiterlesenKarin Schneider-Jundt – Liedermacherin & Autorin im Rheingau
Kapital 2: Die Rückkehr nach Rumänien
Inhaltsverzeichnis
ToggleNachdem die 5 Jahre „Strafe“ abgearbeitet waren, wurde meine Mutter mit mir und den wenigen Überlebenden offiziell freigelassen und durften nun nach Rumänien heimkehren. Man sagte ihr, dass ich russische Staatsbürgerin sei und jederzeit hierher als freie Bürgerin zurückkommen könne. Das war ein jahrelanger Alptraum meiner Mutter, selbst später in der DDR, da sie stets befürchtete, man könne mich entführen und nach Russland zurückschaffen. Was keine reine Einbildung war. So wie es ja heute in der Ukraine mit Kindern geschieht.
Ob der Zug der Rückkehrer mit seinen Insassen auch erst in Quarantäne nach Deutschland fahren musste, wie einst zwei Jahre davor bei meiner Tante Sibylle, da Rumänien, aus Angst vor Krankheiten, die Einreise verweigerte, weiß ich nicht. Jedenfalls war die lange Rückreise alles andere als einfach und ein schockierendes Erlebnis, das meine Mutter nie vergaß.
Als der Zug an einem Bahnhof hielt, lief sie los um Milch zu besorgen, und als sie damit zurückkam, hatte sich der Zug schon in Bewegung gesetzt. Voller Panik hetzte sie ihm nach und konnte im letzen Moment noch in den letzten Wagon gezogen werden. Verzweifelt rannte sie auf der Suche nach mir durch die Wagons, bis sie mich fand. Ich stand weinend im Laufstall und war nicht zu beruhigen bis sie wieder bei mir war. (Ich litt lebenslang an großen Verlustängsten.)
Als der Zug mit den Russlandheimkehrern auf dem Bahnhof von Hermannstadt einfuhr, stand da meine Großmutter, die währenddessen die Erfahrungen in dem rumänischen KZ überlebt erleben hatte, mit einem Leiterwagen, sagte zu meiner Mutter:
„Gib mir das Kind, packe Deine Sachen in den Wagen und komm.“
Von diesem Augenblick an übernahm meine Großmutter das Kommando über uns beide. Das war der Grund für eine Art Hassliebe aus Eifersucht der beiden, die mir oft Kummer und Angst bereitete, obwohl ich den Grund dafür erst im Laufe der Jahre verstand. Und erst heute ist mir klar, warum ich es nie seltsam fand mein Leben lang bei den unterschiedlichsten Menschen, Charakteren, bei streitenden Ehepaaren „zwischen zwei Stühlen“ zu sitzen und beide Seiten zu verstehen.
Meine Großmutter, einst in Leipzig aufgewachsen, ein völlig naives Mädchen, hatte einst mit 17 Jahren Eitel Fritz Scheiner, einen Filou und Schwerenöter kennen gelernt, der dort zu Besuch weilte und wollte mit ihm seine Familie in Siebenbürgen, besuchen. Da offenbar nur Ehepaare die Grenze überschreiten durften, heirateten die beiden Hals über Kopf. Sie bekamen zwei Töchter, doch die Ehe endete in einem Fiasko. Meine Großmutter ließ sich scheiden und heiratete Kurt Briebrecher, einen angesehenen Geschäftsmann, wurde jedoch nach einigen Jahren Witwe und zog mit ihren Kindern zu ihren Schwiegereltern nach Hermannstadt.
Niemand konnte allein schon von Natur aus gegensätzlicher sein als diese beiden Frauen. Meine Mutter, eine von Natur aus exzentrische Künstlernatur und zusätzlich durch die Deportation sowohl körperlich als auch seelisch schwer geschädigt und meine Großmutter, eine Beamtenwitwe und durch das KZ hart geworden.
Meine Mutter musste schwer arbeiten, um den Unterhalt für uns 3 zu verdienen. Als Plakatmalerin stand sie oft ganze Nächte auf der Leiter und malte riesige, 10 m lange Plakate für Schaufenster-Dekorationen. Die Farben und Lösungsmittel, Terpentin und all diese Utensilien waren gesundheitsschädlich, und daheim musste sie täglich, wie man ihr sagte, dafür 1 Liter Milch trinken, um die giftigen Stoffe zu neutralisieren. Sie war dankbar für diese Arbeit und die ihrer Meinung nach gute Behandlung durch ihren Chef – im Gegensatz zu ihren Erfahrungen in der russischen Gefangenschaft. Er sei freundlich, würde die weiblichen Mitarbeiter nicht drangsalieren. Dass er sich gelegentlich wünschte, auf die jungen Frauen urinieren zu dürfen, sei harmlos. Trotz ihrer Arbeit ließ es sich meine Mutter nicht nehmen, täglich um die Mittagszeit in ihrer kurzen Pause nach Hause zu rennen, um mich zu stillen. Es war die einzige Möglichkeit den Kontakt zu mir nicht zu verlieren und das Einzige, was allein sie mir geben konnte. Sie tat das zum Ärger meiner Großmutter – auch aus dem Grund, weil sie selber ausgemergelt war und erst wieder gekräftigt und von vielen Beschwerden geheilt werden musste – fast drei Jahre lang, bis ich sie in die Brust biss.
Aber sie war es, der ich viel freies Denken und Handeln verdanke. Ich erinnere mich an ganz viel Lachen, ausgelassene Späße und Spiele mit ihr in jenen ersten Jahren. In der Geborgenheit daheim, abseits von der Außenwelt, war ich ein wildes, ausgelassenes, fröhliches und schönes Kind, dessen Fotos in den Schaufenstern der Stadt hingen. Besonders die Besuche auf dem Ulmenhof von Kurt Scheiner, einem Bruder meines Großvaters Eitel Fritz Scheiner, blieben mir bis heute in wunderbar lebhafter Erinnerung. Ich konnte barfuß über Stoppelfelder laufen, Freiheit genießen. Abends wurde immer eine schwarze Büffelherde durch unsere Straße getrieben. Die Milch dieser Büffel war so konzentriert, dass Besucher aus Deutschland sie nur verdünnt trinken konnten und der Rahm auf der abgekochten Milch so dick war, dass eines Tages eine unserer Hennen darüber lief ohne einzubrechen.
Mit einem Jahr wurde ich in der Stadtkirche von Hermannstadt getauft. Auch wenn ich mir manchmal sage, dass das nur Einbildung sein kann – ein Augenblick damals hat sich in meine Seele eingebrannt. Der Moment, als ich bei den gewaltigen Klängen der Orgel in die Kirche getragen wurde. Ich starrte mit großen Augen empor in das riesige Gewölbe der Kirche und ein Gefühl der Andacht und Ehrfurcht durchströmte mich, das mich nie wieder losließ und prägte. Was aber lebenslang am tiefsten in mir wurzelt und mein Anker in dieser Welt bedeutet, ist mein Taufspruch, in dem mir Gott selbst versichert:
„Ich habe dich je und je geliebt. Ich rief dich beim Namen – du bist Mein.“
Eine erneute Bestätigung für Gott als mein Vater.
Da meine Mutter aus leidvoller Erfahrung gelernt hatte, niemandem zu vertrauen und für meine Zukunft vorsorgen wollte, – weil sie als unverheiratete Frau mit Kind verachtet wurde – hatte sie gleich mehrere Paten, alles bekannte Persönlichkeiten aus Hermannstadt und ehemalige Leidensgenossen aus der russischen Deportation für mich ausgesucht: Dr. Klein, Hilda Baumann, Hans Paul Rieger mit seiner Frau Meta beispielsweise. Meine Mutter wurde, wie mein Vater befürchtet hatte, die ersten Jahre immer wieder nachts von der rumänischen securitate aus dem Bett geholt. Dort richtete man den grellen Strahl einer Lampe auf ihr Gesicht und sie wurde stundenlang über meinen Vater verhört. Da mein Vater zu ihrem Schutz damals nichts erzählt hatte, war diese Folter erfolglos. Aber sie hinterließ bei ihr ein lebenslanges Trauma. Sie weinte und fragte, wofür sie so gestraft würde, da sie doch nie etwas verbrochen hätte. Oft wurde ich nachts durch ihr lautes Stöhnen und Schreie geweckt. Dann patschte ich ihr im Halbschlaf auf den Kopf und sie beruhigte sich sofort wieder.
Was mir später immer auffiel und mich unterbewusst prägte ist, dass meine Mutter nie über die Ukrainer schimpfte, die damals nach dem Krieg selbst kaum etwas zu fressen hatten, wie sie sagte, und das wenige dann auch noch mit den deutschen Strafgefangenen teilen mussten, weil die Russen diese zur Zwangsarbeit bei ihnen abluden. Und die meist viel anständiger den Sträflingen gegenüber waren, als deren eigene Landsleute. Unter denen waren dann auch noch die Frauen am schlimmsten.
Gnadenlos, verräterisch, brutal und betrügerisch im Überlebenskampf.
Meine Mutter erzählte mir, wie sie manchmal von einem ukrainischen Aufseher mitleidig zu seiner Familie mitgenommen wurde, um etwas zu essen und sich aufzuwärmen. Aber später in Deutschland hatte sie immer auch Verständnis dafür, dass russische Männer im Wohnheim oder später in unserem Mietshaus betrunken lärmten. Für sie waren nie die Menschen eines Volkes die Bösen, sondern die Regierenden die Kriege aus Machtgier anzettelten und die Bevölkerung musste den Blutzoll dafür bezahlen.
Aber nicht nur ihnen gegenüber war sie so duldsam und verständnisvoll, sondern allen Menschen gegenüber. Auch die „Zigeuner“ – heute darf man sie nicht mehr so nennen, waren einfach ein Volk mit eigener Kultur, Regeln und Lebensweisen. Sie lebten unten am Fluss in Sibiu, am Zibin. Für mich waren sie völlig vertraut, wenn sie mit ihren Waren in unsere Straße kamen um sie uns anzubieten. Und wenn sie ihre Blase drückte, machen sie einfach ihre Beine breit und ließen es unter ihren langen Röcken auf den Gehweg rinnen.
Im Gegensatz zu meiner Mutter konnte sich meine Großmutter, letztlich „eine Tochter aus gutem Hause“ und später Beamtenwitwe, niemals an unsere Lebenssituation mit dem Ungeziefer wie Flöhe, Läuse, Wanzen und große schwarze Schaben gewöhnen, die raschelnd unter die Dielenbretter verschwanden wenn man das Licht einschaltete. Manchmal wurde ich nachts wach und sah sie im Bett sitzen – mit einer Waschschüssel neben sich auf dem Stuhl – und verbissen versuchen einen Floh zu fangen. Wenn sie ihn tatsächlich erwischte, ließ sie ihn in der Waschschüssel schwimmen. Das verschaffte ihr eine tiefe Befriedigung.
Eines Tages sah ich wie sie versuchte im Hof eine große, angriffslustige Ratte zu erschlagen. Unser Haus in der Unterstadt von Hermannstadt war wie gesagt, enteignet worden. In der einen Hälfte versuchte man „Zigeuner“ „sesshaft“ zu machen, was natürlich misslang und die dortigen Mieter, eine armenische Familie, ebenfalls heimatlose Flüchtlinge herauswarf. Weil meine Großmutter die Mieteinnahmen benötigte, um unser Überleben zu ermöglichen und da diese hochgebildeten Menschen inzwischen zu langjährige Freunde geworden waren, wurden die Herausgeworfenen mit Sack und Pack aufgenommen. Ihre Habseligkeiten türmten sich im Flur bis unter die Decke. Sogar ein großer Flügel stand in dem einen Zimmer. Meiner Großmutter, meiner Mutter und mir blieben nur ein Zimmer und eine geräumige Wohnküche mit einem großen Erdgas betriebenen Herd. Um in den kleinen Garten zu kommen, mussten wir aus dem Fenster steigen oder bei dem armenischen Geschwisterpaar durch die Küche laufen.
Meine Großmutter versuchte mich und besonders meine kranke, entkräftete und von Ekzemen und eitrigen Geschwüren geplagte Mutter wieder aufzupäppeln. Dafür musste sie große Opfer bringen. In dem ausgebluteten und korrupten Land stand sie oft von 2 Uhr nachts bis zum nächsten Vormittag in einer langen Schlange, um etwas Essbares zu ergattern. Nicht selten umsonst, weil, bis sie an die Reihe kam, bereits alles ausverkauft war und sie mit leeren Händen zurückkehren musste. Zum Glück hatten wir den kleinen Garten und ein paar Hühner.
Tischgebet und Abendgebet waren für mich eine Selbstverständlichkeit. Doch wurde eine bestimmte Religionszugehörigkeit bei mir relativiert, weil meine Mutter für alles offen, an allem interessiert und ohne Vorurteile war. Katholische, orthodoxen Kirche, sie hörte sich alles an, war aber nicht „verführbar“, da sowohl ihre Vorfahren väterlicherseits als auch der Vater meines Vaters Pastoren waren.
Auch für die Astrologie hatte sie ein offenes Ohr, Mystik, Hexen. Allerdings glaubte sie fest an die Existenz des Satans – eine logische Erklärung für sie für all ihr Leiden und das Böse in der Welt. Meine Großmutter wiederum war ihrer tragischen Lebensgeschichte wegen eine Atheistin.
Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Gräueltaten, die Schicksale der betroffenen Familien, all das Unfassbare ruft in
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WeiterlesenUm mich besser kennenzulernen, zeige ich auf den Seiten eine Chronik meiner Familie, gebe Einblick meiner Person und erzähle ausführlich mein Lebensweg. Meine Lieder und Geschichten entstanden aus persönlichen Situationen und Erlebnissen. Ich möchte anderen Menschen, die Trost und Unterstützung brauchen, damit Impulse geben und Mut machen.