Zur Person Karin Schneider: Einleitung
Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Gräueltaten, die Schicksale der betroffenen Familien, all das Unfassbare ruft in
WeiterlesenKarin Schneider-Jundt – Liedermacherin & Autorin im Rheingau
Kapital 3: Nach Heimkehr aus der Gefangenschaft
Inhaltsverzeichnis
ToggleNach unserer Heimkehr aus der Gefangenschaft fand meine Mutter bei den Adventisten Halt, denen sie lebenslang verbunden blieb. Besonders einer – Horst G., ein bekannter Organist, Dirigent und Chorleiter – war für sie ein ganz wichtiger Mensch, mit dem sie zeitlebens innig verbunden war, ständig anrief, – selbst nachts – wenn es ihr nicht gut ging, wenn sie ihre Einsamkeit nicht ertrug, weil die Dämonen der Vergangenheit wieder über sie herfielen und sie jemanden brauchte, von dem sie einfach wusste, dass sie angenommen wurde in ihrer Art, ihrer Gebrochenheit und kompliziertem Wesen.
Er sagte, dass es ihm niemals zu viel würde, weil er Eva Maria als Menschen zutiefst bewunderte, und zwar wegen ihres künstlerischen Schaffens, worin sie ihre traumatischen Erlebnisse und Ansichten ausdrücken konnte. Aber hauptsächlich gebühre einem Menschen, der ein derartiges Martyrium wie sie in Russland hat ertragen müssen, jegliche Achtung, Respekt, Schutz und Mittragen.
Ich fand diese Einstellung zutiefst ehrenwert. Menschen sind grausam, habe ich damals gelernt. Besonders Frauen, die das Privileg hatten, von der Deportation verschont worden zu sein, hätten eigentlich am besten wissen müssten, wie es ihren Geschlechtsgenossen im Krieg ergehen kann. Die Männer waren da viel gütiger.
Später in Deutschland wurde ich von Menschen, die unsere Biografie nicht kannten, zumeist wegen meiner schwarzen Haare und dem dunklen Teint für den „Zigeunerbastard“ meiner dunkelhaarigen Großmutter gehalten, da meine Mutter hellblond war. Tante Hilda Jundt/ Rogosny, Schwester meines Vaters, erkannte mich an. Und seine Tante Helene Weber – an Hand des handschriftlichen Briefes meines Vaters an meine Mutter zu meiner Geburt im Lager ebenfalls.
Ich war ungefähr 4 Jahre alt und mein einziger Spielkamerad war der Nachbarsjunge Karl-Heinz. Als er Zwillingsschwestern bekam und ich sie neugierig im Kinderwagen ansehen wollte, versuchte mir das deren Mutter durch eine spontane heftige Bewegung zu verwehren und erschrocken prallte ich zurück. Da sagte ihr Mann zu ihr: „Sei doch nicht so. Sie ist doch noch ein Kind“ und winkte mich freundlich heran. Ich verstand den Grund der Abwehr nicht. Nur, dass mit mir etwas nicht stimmte und ich den Babys durch meine Anwesenheit offenbar schaden könnte, brannte sich unterbewusst tief in meine Seele ein obwohl die Mädchen bis zu unserer späteren Ausreise nach Deutschland wie die Kletten an mir hingen.
Das zweite für mich so einschneidende Erlebnis ereignete sich eines Tages, als ich meine drei Spielgefährten vermisste und mich auf die Suche nach ihnen machte und eine Frau, eine Rumänin, wie eine Furie aus ihrer Haustür herausstürzte, mich wütend anzischte und in die Hände klatschte, um mich wie eine eklige Schmeißfliege zu verscheuchen. Ich erschrak derart, dass ich voller Panik davon stürzte, die Treppe runter, in Richtung unseres Hauses. Dabei machte ich mir vor lauter Angst zum ersten Mal in meinem Leben in die Hose. Ich fiel meiner erschrockenen Großmutter weinend und zitternd in die Arme, die die Zähne vor Wut zusammenbiss und mich wortlos wusch und umzog.
Diese beiden für mich erschreckenden Erfahrungen und das heimliche Getuschel und die Blicke der Erwachsenen, verfestigten in mir immer heftiger die Meinung, etwas Unwertes, eine Aussätzige zu sein. Darum wagte ich viele, viele Jahre lang nicht, einem Menschen, den ich liebte, dieses tiefe Gefühl zu zeigen. Ich liebte ihn nur heimlich und aus der Ferne um ihm nicht zu schaden oder zu beschmutzen.
Ich weiß nicht warum, aber in den Kindergarten ging ich nur einen Tag und dann nie wieder. Von der Schulzeit dort habe ich nicht viel in Erinnerung behalten. Ich weiß nur, dass ich eigentlich gerne in die Schule ging, weil ich wissbegierig war. Neues zu lernen, machte mir Freude und ich war fleißig, eine gute Schülerin. Aber ich machte mich möglichst unsichtbar. Weil es streng zuging. Wer nicht gehorsam war, faul war oder log, musste zum Lehrer vor, die Hände ausstrecken und bekam ordentliche Hiebe drauf mit der Gerte, oder mit dem Rohrstock auf den Hintern. Man musste in den Karzer oder sich mit dem Rücken zur Klasse lange Zeit auf Knien in die Ecke verziehen.
Ich saß in der letzten Bank neben einem ebenso mucksmäuschenstillen Jungen in einer Uniform – es war ein Heimkind mit abrasierten Haaren. Wenn wir nicht schrieben oder zeichneten, mussten wir mit hinter dem Rücken gefalteten Händen sitzen. Betrat der Lehrer das Klassenzimmer mussten wir alle aufspringen, strammstehen. Dann wurde gesungen, gebetet – dann setzen! Aber vor den Pausen hatte ich Panik. Ich war keinen Umgang mit Gleichaltrigen gewohnt, die natürlich so ein schüchternes Mäuschen verspotteten und auch ausgrenzten – wegen ihrer Herkunft als Kind der Schande. Darum verkroch ich mich während den Pausen hinter der Klassentür und war froh, wenn ich mich nach der Pause wieder auf meine Schulbank retten konnte.
Damals gab es bestimmte Impfungen nicht und darum erkrankte ich sehr heftig an Masern, beidseitiger Mumps, (ich musste tagelang im Dunklen liegen), Windpocken; ich hatte beidseitige Mittelohrentzündung, wobei das eine Mal am rechten Ohr das Trommelfell durchbrach und ich da schwerer höre, die Rachenmandeln wurden mir ohne Narkose herausgeschnitten. Da ich mich so wehrte und schrie konnte mich meine Großmutter auf dem Schoß nicht festhalten und ich rutschte weg. Das Gaumenzäpfchen wurde dabei halb durchgeschnitten. Dann trat etwas Schlimmes ein, das schwere Konsequenzen nach sich zog. Alle Schulkinder wurden regulär durch geimpft. Doch bei der Impfaktion gegen TB lief etwas schief, ähnlich wie einst 1930 bei dem Lübecker Impfunglück, bei dem 77 Kinder starben. Geimpft wurde mit einem Lebendimpfstoff. Seit 1989 wird bei uns in Deutschland die Impfung gegen TB aus verschiedenen Gründen nicht mehr empfohlen oder automatisch durchgeführt. Doch in Rumänien waren sie damals obligatorisch.
An jenem verhängnisvollen Morgen wurden die Impfampullen vertauscht und uns Schülern wurden anstatt des abgeschwächten Impfstammes virulente Tuberkulosebakterien gespritzt. Geimpft wurde in den linken Unterarm. Auch in meiner Schule brach bei zahlreichen Kindern offene TB aus. Viele – so auch ich – hatten einen Schatten auf der Lunge. Eine Kommission aus Bukarest reiste an und es gab hohe Strafen und Versetzungen. Meine Mutter und Großmutter waren zu Tode erschrocken. Besonders meine Mutter, da ja eine Lungenschwäche in der Familie meines Vaters vorlag. An der Impfstelle bekam ich ein Eiterloch, das bis auf den Knochen reichte. (Ich habe die große Narbe bis heute.) In dieses Loch nun wurden mir regelmäßig mehrere Spritzen rein gegeben und die Wunde gereinigt und versorgt. Das tat sehr weh und ich heulte verzweifelt. Und dann musste meine Lunge regelmäßig durchleuchtet werden. Mein Patenonkel Dr. Klein war Lungenfacharzt, soviel ich weiß. Der Schatten verschwand im Laufe der Zeit. Um aber wirklich ausgeheilt zu werden, musste ich für ein paar Wochen zur Kur in die Karpaten gebracht werden. Für mich eine herrliche Zeit. Ich ritt auf einem Muli hoch in die Berge und schlief mit meiner Großmutter im Heu.
(Impfpflicht: Die Schutzimpfungen gegen Tuberkulose galt in der DDR von 1955–1988. Darum wurde ich dort wieder geimpft obwohl das nicht hätte sein dürfen und bekam wieder ein Loch – aber nur ein kleines da es ja der reguläre Impfstoff war.)
Ab der zweiten Klasse war es Pflicht, Rumänisch zu lernen. Meine Mutter konnte perfekt rumänisch und russisch sprechen. Daheim sprachen wir dagegen nur im Siebenbürger Dialekt und für mich war das „unsere“ Sprache und ich antwortete anderen nur in Deutsch und nie in Siebenbürgisch.
Meine Mutter wollte mich in vielen Dingen stärken fürs Leben. Radfahren, Schwimmen, Klavier spielen, Ballett, auf Menschen zugehen, meine Begabungen entdecken. Sie war eine perfekte Schwimmerin. Darum brachte sie mich eines Tages zu einem Bademeister. Der warf mich – wie das offenbar so üblich war – einfach ins Wasser, was mich so traumatisierte, dass ich erst mit 21 Jahren meinen Freischwimmer in Frauenfachschule machte. Radfahren konnte ich auch bis auf den heutigen Tag nicht lernen, denn von mir unbeachtet fand über längere Zeit etwas statt, dass mein Leben von einem Moment auf den anderen verändern und meine unbeschwerte Kindheit beenden sollte.
Meine Großmutter hatte über Jahre den Antrag gestellt, dass wir nach Deutschland auswandern durften. Und immer wieder – erfolglos – Schmiergelder gezahlt. Die Wohnverhältnisse waren untragbar. Meine Mutter litt unter der ständigen Angst, wieder nach Russland verschleppt zu werden oder, dass mich die Russen als ihre Staatsbürgerin beanspruchen würden. Außerdem gab es für mich keine Zukunftsperspektiven in Rumänien. Meine Urgroßmutter lebte alleine in Leipzig. Sie war bereits 89 und so gab meine Großmutter an, ihre alte, gebrechliche Mutter betreuen zu müssen. Unsere ganzen Ersparnisse zahlte sie nach und nach dafür, dass wir die Ausreisegenehmigung erhielten.
Ich zitiere aus einem Bericht:
„Da in ganz Rumänien die privaten Produktionsmittel verstaatlicht wurden, war von dieser Maßnahme auch die deutsche Minderheit betroffen, allerdings schon früher und sehr viel rücksichtsloser und härter als der Rest der Bevölkerung. Ab 1946 wurden der sächsischen Bevölkerung sämtliche landwirtschaftlichen Nutzflächen (Äcker, Wiesen, Weingärten) enteignet und Rumänen übergeben. Außerdem wurden die Ackergeräte und ein Großteil der Lagerbestände (Getreide, Wein) und des Nutzviehs (Schweine, Rinder etc.) enteignet und an rumänische Kolonisten vergeben. Darüber hinaus führte eine latente Diskriminierungshaltung der staatlichen Stellen dazu, dass offizielle Ämter stets mit Rumänen besetzt wurden und deutschsprachige Bewerber deutlich verminderte berufliche Aufstiegsmöglichkeiten besaßen. Explizite Minderheitenrechte gab es keine.
Eine Ausnahme bildete das Schulwesen, wo deutschsprachiger Unterricht zwar toleriert, jedoch zunehmend auch dort zurückgedrängt wurde, da sukzessive mehr und mehr Fächer und Prüfungen auf Rumänisch abgehalten werden mussten. Der Kirchenbesitz (gemeint sind hier Kirchengrund, Wälder, Immobilien wie z. B. Schulgebäude – ausgenommen waren nur die Kirchengebäude selbst) wurde ebenso verstaatlicht wie die deutschen Schulen, welche zuvor der Evangelischen Kirche A.B. unterstanden hatten.
Zudem mussten alle deutschen Tageszeitungen und Wochenblätter eingestellt werden. Alle Fabriken, Maschinen, Geschäfte, Felder, Wälder, Weinberge, unbebauten Grundstücke, unzählige Immobilien, die Sparvereine und Versicherungen (mit ihren Einlagen), die sich im Besitz der Siebenbürger Sachsen befunden hatten, sowie die zwei großen Kreditinstitute der deutschen Minderheit (Kronstädter Sparkasse und Hermannstädter Sparkassa) verleibte sich der rumänische Staat ein. Auf diese Art und Weise wurden die Siebenbürger Sachsen nicht nur ihres Besitzes und ihres Rechts beraubt, sondern die Lebensgrundlage der Volksgruppe nachhaltig zerstört.
Im kulturellen Bereich setzten besonders die Schauprozesse in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre (wie etwa der Kronstädter Schriftstellerprozess und der Schwarze-Kirche-Prozess) die Siebenbürger Sachsen unter Druck. All dies waren Gründe für die später oft freiwillige Ausreise. Darüber hinaus wurden die Auswanderungswilligen gezwungen, ihr Eigentum (insbesondere Wohnimmobilien und Grundstücke) an den Staat abzugeben und sich somit weit unter dem normal erzielbaren Preis vom kommunistischen Staat mit einer geringen Summe zwangsentschädigen zu lassen. Zudem wurde für das Aufgeben der rumänischen Staatsbürgerschaft ebenfalls Geld verlangt. So verdiente der Staat mehrfach an den Auswanderern.“
Genauso erging es uns.
(Als mein Mann einmal zu mir sagte warum wir nicht in dem schönen Land Rumänien geblieben wären und uns angepasst hätte, war ich tief empört. Doch als er dann einmal mit einem Transport dorthin fuhr, kam er zurück und erklärte betroffen, dass er nun verstünde. Und von da an fuhr er regelmäßig mit Hilfstransporten nach Rumänien und wir übernahmen auch die Patenschaft für ein Mädchen, Vasilica, in einem Heim, das sonst mit 14 Jahren von dort entlassen und auf der Straße gelandet wäre. Sie ist heute in Italien verheiratet und hat nach und nach ihre Geschwister aus Rumänien herausholen können. Für sie ist mein Mann ihr Vater und ihre Dankbarkeit und Liebe bewundernswert.)
Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Gräueltaten, die Schicksale der betroffenen Familien, all das Unfassbare ruft in
WeiterlesenGeboren wurde ich am 7. Februar 1949 um ungefähr 3:00 Uhr nachts in einem Krankenhaus in Werchnij, Kreis Woroschilowgrad/Ukraine.
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Weiterlesen1958 erhielten wir nach jahrelanger Beantragung und ohne jegliche finanziellen Rücklagen die Erlaubnis zur Auswanderung nach Leipzig.
WeiterlesenWas bedeutet der Begriff „Heimat“ für die Nachkommen von Deportationsopfern oder Flüchtlingen – was bedeutet er für mich -
WeiterlesenUm mich besser kennenzulernen, zeige ich auf den Seiten eine Chronik meiner Familie, gebe Einblick meiner Person und erzähle ausführlich mein Lebensweg. Meine Lieder und Geschichten entstanden aus persönlichen Situationen und Erlebnissen. Ich möchte anderen Menschen, die Trost und Unterstützung brauchen, damit Impulse geben und Mut machen.