Karin Schneider-Jundt – Liedermacherin & Autorin im Rheingau
Liebe.
Leben.
Selbstvertrauen.
Auf dieser Plattform möchte ich eigene Erfahrungen wiedergeben. Erlebnisse, die zeigen, dass im Leben nicht alles nur Zufall sein kann. Wenn man rückblickend diesen roten Faden in seiner Vergangenheit wahrnimmt, ist man vielleicht bereit, seinen Lebenssinn zu erkennen und zu glauben, dass jeder von uns eine Gabe in sich trägt, die es wert ist, weitergegeben zu werden.
„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe Ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“ (Jer 31,3).
So lautete mein Konfirmationsspruch. Ich glaubte an ihn. Dieses Vertrauen trug mich über manche Hürde in meinem Leben.
Inhaltsverzeichnis
ToggleMeine Vorfahren mütterlicherseits stammen unter anderem aus Thüringen. Die väterlicherseits aus der Schweiz, wanderten aber teilweise nach Bessarabien aus. In beiden Familien gab es zahlreiche Pfarrer und Künstler jeglicher Art. Meine Großmutter heiratete einen Deutschen aus Siebenbürgen (Rum.) bekam 2 Töchter, lebte dort mit ihnen bis zu ihrer Scheidung und Wiederverheiratung. 1944 kam sie, inzwischen Witwe, in ein rumänisches KZ. Währenddessen wurden ihre Töchter, 22 und 19 Jahre alt, wie unzählige deutschen Frauen aus Siebenbürgen zwischen 18 und 40 (manchmal waren darunter sogar Mädchen mit 13 Jahren) ergriffen, in Viehwaggons verladen und zu 5 Jahren „Wiedergutmachungsarbeiten“ an Russland in die Kohlenbergwerke der Ukraine deportiert.
Dort arbeitete meine Mutter unter unbeschreiblichen Bedingungen unter Tage. Ihre Ausbildung als bildende Künstlerin und besonders als Portraitmalerin sowie dann die Begegnung mit meinem Vater, einem Universitätsprofessor aus Odessa, der sich damals zufällig bei seiner Tante in Hermannstadt aufgehalten hatte, ebenfalls ergriffen und als Dolmetscher in das Bergwerk deportiert wurde, halfen ihr, zu überleben.
Ich wurde im Winter 1949 bei minus 40 Grad als eines der ersten Kinder im Donbass in der Ukraine geboren. Ein paar Monate später wurde mein Vater ohne Erklärungen weggebracht und soll später in einem anderen Gefängnis gestorben oder aber erschossen worden sein. Wir haben trotz verschiedener Suchmeldungen nie wieder etwas von ihm gehört. Meine Mutter verlor daraufhin jeglichen Lebensmut und brach zusammen. Da sah sie plötzlich im Schnee ein großes, schwarzes Kreuz und verstand die Botschaft: „Du musst für dieses Kind leben“.
Seitdem sollte das Kreuz das Hauptkommunikationsmittel zwischen Gott und mir werden den ich somit als meinen Vater verstand. Ende 1949 durften die wenigen Überlebenden nach Rumänien zurückkehren. Ich wuchs die ersten 8 Jahre in Herrmannstadt, heute Sibiu, auf. Meine ausgemergelte, traumatisierte Mutter verdiente schwer arbeitend mit ihrer Malerei unseren Lebensunterhalt. Meine Großmutter, unterdessen aus dem KZ heimgekehrt, versuchte uns zu ernähren. Wir lebten in einem einzigen Zimmer mit Küche, da unser Haus teilweise enteignet worden war. In der einen Hälfte versuchte man Menschen sesshaft zu machen, die dazu nicht geboren waren, und in unserer Hälfte hatten wir geflüchtete Armenier zur Miete aufgenommen um überleben zu können. Lange Zeit wurde meine Mutter nachts aus dem Bett geholt und wegen meines Vaters verhört; nie erfuhr sie weshalb da er ihr zu unserem Schutz nichts berichtet hatte. Lebenslang wartete sie auf seine Rückkehr. Noch Jahre später weckten mich nachts die Schreie aus ihren Albträumen. Allein ihr Glaube und der Halt, den ihr ihre Kirchengemeinde bot, bewahrten sie vor der Verzweiflung. Da niemand meinen Vater kannte, ich von Natur aus leicht braun wurde und im Gegensatz zu meiner blonden Mutter dunkelhaarig war, galt ich als „Zigeunerbastard“ meiner schwarzhaarigen Großmutter und durfte oft nicht mit anderen Kindern spielen, da deren Eltern es ihnen verboten hatten. Darum fühlte ich mich – ohne zu verstehen warum – unrein und wagte nicht, meine große Liebe, die in mir brannte, anderen Menschen zu zeigen, um sie nicht zu „beschmutzen“. Innerlich war ich voller Sehnsucht, Wildheit und Freude, die ich jedoch nur daheim oder in der Natur, mit Tieren und Bäumen als Freunde, auszuleben wagte.
Von Mutter und Großmutter wurde ich zärtlich geliebt und behütet. Ich war ihr Lebensinhalt und erfuhr große Geborgenheit. Leider prägte sich ihr besorgtes: „Unsere Karin kann das nicht“ oder „dafür ist das Kind zu schwach“ in mich ein. Ich bewunderte darum andere Menschen, die ich allesamt für klüger, stärker, gesünder und schöner hielt. Auf Drängen meiner Mutter erhielt ich Klavierunterricht, den ich oft lustlos absolvierte – ich hätte lieber eine Gitarre gehabt.
Nach jahrelangen, doch vergeblichen Anträgen auszuwandern, die mit großen finanziellen Opfern verbunden waren, erhielten wir endlich 1958 dafür die Erlaubnis und zogen nach dem verlustreichen Verkauf all unserer Habe zu meiner Urgroßmutter nach Leipzig, um mir eine bessere Zukunft ermöglichen zu können, da die Deutschen in Rumänien mehr und mehr Repressalien ausgeliefert waren. Dort lebten wir, vier Generationen eigenwilliger Frauen, zwei Jahre lang wiederum in nur zwei Zimmern.
Meine Urgroßmutter, früher Sängerin am Leipziger Gewandhaus, brachte mich in den Rundfunkkinderchor, wo ich meine einzige Gesangsausbildung erhielt, auf der Leipziger Messe sang und den Rundfunkbetrieb kennenlernte. Außerdem hatte ich eine echte Freundin gefunden und der Leipziger Zoo war mein zweites Zuhause. In geheimen Räumen nahm ich am – damals in der DDR verbotenen – Religionsunterricht teil. Diese 2 Jahre waren mit die glücklichsten in meinem Leben, da ich die politische Lage natürlich nicht verstand und sogar gerne Pionier geworden wäre. Meine Mutter und Großmutter hingegen befanden sich in ständiger Panik besonders auch wegen mir. Ich galt als gebürtige Russin und konnte jederzeit dorthin geholt werden wie man ihnen sagte.
Kurz vor dem Mauerbau flohen wir, ohne meine Urgroßmutter, die eine 100% Kommunistin geworden war und uns verraten hätte, über Berlin in den Westen. Eine grauenhafte Entscheidung, die meine Großmutter treffen musste. Es begann nun eine lange Odyssee durch Deutschland von Auffanglagern zu Barackenlagern, von zerbombten Kasernen in Wohnheime, bis wir schließlich in Weingarten/Württ. in einem rasch erbauten Mehrfamilienhaus eine Wohnung zugewiesen bekamen. Mit einem Handkarren zogen meine Großmutter und ich über Land, um Möbel und Hausrat zu sammeln, während meine Mutter als Stenotypisten und mit ihrer Malerei sich abmühte uns zu ernähren. Durch die vielen Schulwechsel, durch meine Schüchternheit, durch den ständig wechselnden Bekanntenkreis, fiel es mir sehr schwer Anschluss zu finden. Ich war groß, ich war dünn, ich war „anders“; ich trug die abgelegte Kleidung Erwachsener.
Die evangelische Lehre, dass ich vor Gott aufrecht stehen darf, war für mich prägend und lebensnotwendig. Aus ihr zog ich meine Daseinsberechtigung. Er ersetzte mir meinen eigenen, schmerzlich vermissten, auf rührende Weise, indem er mir immer Menschen schickte, die mich liebten, mich förderten, mir Vorbild waren. Ich empfand sie als Engel und liebte sie insgeheim glühend. Überhaupt trug ich weiterhin mein Leben lang schwer an meiner übergroßen, stets gleich bleibenden Liebeskraft und einer unerklärlichen Sehnsucht. Die katholischen Rituale waren mir daher im Tiefsten nicht fremd. Daher war ich in diesem katholischen Teil Württembergs auch auf diesem Gebiet ein Außenseiter und die Eltern meiner Freundinnen waren stets überzeugt, dass eine solche Freundschaft nicht halten könne. Was ich allerdings nie verstand und was auch nie eintraf. Für mich war Gott unser aller Vater und meiner ganz besonders.
In Ravensburg besuchte ich bis zum 12. Schuljahr das Gymnasium. Meine Mutter verdiente anfangs weiterhin unseren Lebensunterhalt als Bürokraft, doch als meine Mutter nach München ging, um ihr kriegsbedingt abgebrochenes Studium zu beenden – sie wurde Kunsterzieherin in Ulm – lebten wir von den 90 DM Rente meiner Großmutter.
Mein großer Traum war es in die Verhaltensforschung zu gehen. Doch da mir Prof. Dr. Bernhard Grzimek schrieb, dass dafür ein Biologiestudium notwendig sei und ich mir das Abitur meiner Versagensängste und unerkannten Absencen nicht zutraute, verließ ich ein Jahr davor das Gymnasium. Ich besuchte die Frauenfachschule und absolvierte dann eine Ausbildung zur medizinischen Laborantin in einem Großlabor in Weingarten, wo ich das Mineralienlabor leitete. Hier erfuhr ich zum ersten Mal große Anerkennung meines Könnens.
Mit 21 verlobte ich mich mit einem jungen Mann, der mir glaubhaft versicherte, wir seien füreinander bestimmt. Ich legte mein Selbst in seine Hände. Als er mich nach zwei Jahren verließ, glaubte ich nicht mehr leben zu können und auch nicht mehr zu wollen. Oft ging ich an Bahngleise, denn der letzte Rest Urvertrauen war in mir zerbrochen. Da hörte ich zum ersten Mal bewusst eine Stimme: „Vertraue mir. Ich weiß, was für dich gut ist, auch wenn du es heute noch nicht verstehst“.
Ich vertraute ihr, auch wenn der Schmerz dadurch nicht geringer wurde. Verschlungene Wege führten zu der Begegnung mit meinem Mann. Obwohl ich fühlte, dass er der „Richtige“ wäre, verdrängte ich diesen Gedanken und zog mich zurück, denn alle Umstände sprachen dagegen. Doch das Schicksal wollte es anderes. Ich wusste, ich musste mich von daheim endlich lösen und zwar radikal, um endlich selbstständig zu werden. Ich ging als Laborantin nach Bad Wildungen – fünfhundert Kilometer entfernt von zu Hause. Doch meine Selbstzweifel holten mich erneut ein, und ich brach zusammen. Mein Mann, der, inzwischen geschieden, allein in Offenbach lebte, holte mich zu sich und übernahm nun die Beschützerrolle. 1974 heirateten wir. Ich war glücklich, am Ziel meiner Träume.
Doch im Innersten glaubte ich nicht, den Anforderungen einer Ehe, Hausfrau, eventuell Mutter gewachsen zu sein. Mein Mann war älter, klug, erfolgreich und würde meiner sicher bald überdrüssig werden, befürchtete ich. Folglich fiel ich in schwere Depressionen, bekam Panikattacken, Phobien, deren Ursachen keiner erkannte. Somit begann eine Odyssee von Arzt zu Notarzt, Klinik, Medikamenten. Man vermittelte mir den Eindruck, ein Hypochonder zu sein. Jahrelang konnte ich die Wohnung alleine nicht verlassen. Ein normales Leben, gesellschaftliche Kontakte waren mir nicht möglich. Man hielt mich darum für stolz und unnahbar und meinen Mann für zu bedauern. Ihm verdanke ich es, dass ich noch lebe, weil er unerschütterlich in seiner Liebe zu mir stand, obwohl er sich oftmals völlig hilflos und überfordert fühlte und bei öffentlichen Repräsentationspflichten oft keine Frau an seiner Seite hatte. Ich empfand mich als Belastung für meine Mitmenschen, fühlte mich für alles und jedes schuldig. Angst prägte jeden Tag meines Lebens. Gerne wäre ich ihr für immer entflohen. Doch der Gedanke, Gott zu enttäuschen, feige zu sein in seinen Augen, hielt mich davon ab, einen unwiderruflichen Schritt zu tun.
Drei Jahre nach unserer Heirat, wir lebten inzwischen in Hallgarten im Rheingau, zog die Tochter meines Mannes zu uns und „adoptierte“ mich als Mutter. Ich bezweifelte, ob ich dieser Rolle einer 14-jährigen gegenüber gerecht werden konnte. Doch sie entwickelte sich zu einem selbständigen Menschen, lernte Frisörin, zog drei Kinder auf und ist heute eine examinierte Altenpflegerin. Sehnlichst wünschte ich mir eigene Kinder, doch nach Meinung der Ärzte und zwei Fehlgeburten konnte ich voraussichtlich keine haben. Ich war also nicht einmal biologisch eine „richtige“ Frau. Unser alter Hausarzt bewies mir durch seine stete Ermutigung das Gegenteil. Ihm verdanke ich zwei gesunde, kluge, schöne Töchter, Cora und Katja. Sie waren für mich ein Gottesgeschenk. Nun fühlte ich mich als Frau endlich vollwertig. Allerdings glaubte ich nicht, eine gute Mutter sein zu können. Aber, da ich an die Einmaligkeit eines jeden Lebewesens glaubte, setzte ich standhaft auf Liebe und Intuition als Lehrmeister.
1984 kauften wir uns ein kleines Häuschen in Rüdesheim/Rheingau. Dadurch und durch die Hypothekenrückzahlung und sonstigen finanziellen Verpflichtungen, u.a. den Unterhalt meines Mannes für seinen bei seiner Mutter lebenden Sohn befanden wir uns ständig in finanzieller Bedrängnis. Meine Mutter versuchte uns alle 4 so gut es ihr möglich war finanziell zu unterstützen Aber dieser Einsatz zahlte sich aus, denn heute ist er ein erfolgreicher Augenoptikermeister und Vater einer Tochter. Meine Depressionen hatte ich inzwischen alleine soweit in den Griff bekommen, dass ich ohne Tabletten ein einigermaßen normales Leben führen konnte. Die Öffentlichkeit allerdings versetze mich weiterhin in Panik. Ein innerer Hunger, der mich mein ganzes Leben begleitet hatte, blieb. Wonach? Ich fürchtete, für diese „Undankbarkeit“ bestraft zu werden, besaß ich doch alles was man sich wünschen konnte. Ja, nur mich selber besaß ich nicht.
Ein Stromschlag, an einem Tag der Lebensunlust, der leicht hätte tödlich enden können, veränderte im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig mein Leben. Ich erkannte rückblickend voller Staunen Gottes zahlreiche Spuren in meinem bisherigen Leben. Doch mit wem konnte ich diese Erfahrungen teilen? Mein Mann war dafür ein zu nüchtern denkender Mensch. Ich war damals eine Frau, die sich auf ihr Äußeres hatte festlegen und bewerten lassen. Von Frauen wurde ich misstrauisch als Fallstrick aller Männer betrachtet. Diese wiederum sahen in mir die ideale „Besetzung“, um sich ihren immerwährenden Sehnsuchtstraum zu erfüllen: Das Herz der Angebeteten als erfolgreiche Eroberer zu gewinnen, im Stillen allerdings hoffend, sie möge seinen Verführungskünsten wiederstehen, damit er sie weiterhin als die Reine, Unfehlbare anbeten kann. Ich lernte diese Rolle perfekt zu spielen und zog daraus mein kümmerliches Stück Selbstwertgefühl. Doch mein Innerstes litt, weil niemand an meinem wahren Wesen und meinen Bedürfnissen interessiert zu sein schien. Auch der liebevollste Ehemann konnte mir, weil er auch ein Mann war, nicht helfen, diese alten Wunden und das Misstrauen zu beseitigen.
Nun hielt Gott den Zeitpunkt für gekommen, Pater Christian, einen Franziskanerpater, in unserer aller Leben treten zu lassen. Meine Freundin Barbara M. brachte mich in seinen Gebetskreis ins Kloster Marienthal. Dieser Priester sah in mir nicht die Frau, sondern eine hungernde Seele auf dem gleichen Weg wie er. Da er ebenfalls allzu oftan seiner Person anstatt an seiner Botschaft festgemacht worden war und daran zu zerbrechen drohte, konnten wir uns gegenseitig stützen. Das bedeutete für mich etwas völlig Neues. Er gab mir das Gefühl, stark zu sein, unkompliziert, von Gott so gewollt, wie ich war. Er befreite meine Seele, indem er ruhig und unerschrocken an meiner Seite stand, wenn alte Wunden, Zweifel und Ängste aus meinem Innern hervorbrachen. Erst heute verstehe ich rückblickend das so seltsam anmutende Schicksalsspiel, mich mit einem Priester zur Zusammenarbeit zu verpflichten. Sein tiefes Gottvertrauen, seine Hingabe, war für uns alle prägend. Vieles war uns als Protestanten fremd. Pater Christian war der erste Priester, dem ich je begegnet war, doch sein Charisma überzeugte und beeindruckte uns – unser Glaube war der gleiche.
Unserer Familie war die Verbindung so ernst, dass wir, als Pater Christian nach Schmalkalden/Thür versetzt wurde um dort mit zwei Ordensbrüdern eine Ordensniederlassung zu gründen, ihn dort öfters besuchten. Die Habits (Kutten) der drei Priester wurden anfangs als Faschingsverkleidung angesehen. Oft fuhren mein Mann und ich mit Pater Christian in entlegene Städtchen, um an seinen Gottesdiensten teilzunehmen. In Schmalkalden erfüllte sich ein lang ersehnter Traum. Wir entdeckten eine Hütte im Wald in die mein Mann und ich uns sofort verliebten. Wir entschlossen uns spontan sie zu erwerben und der Preis betrug zu unserer großen Freude genau die Summe, die uns von dem Verkauf der Wohnung meiner verstorbenen Großmutter und der Abzahlung unseres Hauses in Rüdesheim übrig blieb. Hier verbrachte ich von nun an so viel Zeit wie möglich allein mit unserem Hund.
Ich wollte nun endlich Gitarre spielen lernen und übte die Griffe, die mir meine Freundin gezeigt hatte. Bei diesen mühsamen Versuchen entstand zu meinem Erstaunen aus meinem Inneren ein Lied: „Wie ein Vogel in der Nacht…“. Erst viel später merkte ich, dass dieses Lied eine tiefe Erkenntnis und ein Dankgebet an Gott war.
Es war wie ein Dammbruch. Zwei, drei Lieder entstanden oft in einer Woche, und ich hatte das Gefühl, nur noch ein hilfloses Werkzeug in Seinen Händen zu sein. Nur eins wusste ich sicher: Gott hatte mir, die sich immer für minderwertig und ohne besondere Begabung hielt, mit diesen Liedern ein Geschenk gemacht. Ein Geschenk, von dem er erwartete, dass ich es an Menschen weitergab, denen es so erging wie mir.
Unser kleiner Hauskreis, den ich nach Pater Christians Versetzung mit meiner Freundin weitergeführt hatte, nahm die Lieder freudig auf, und meine Freundin fasste einige der Lieder noch bis kurz vor ihrem Tod in Noten. Auf ihren Wunsch hin sang ich schließlich zu ihrer Beerdigung das erste Mal öffentlich in Rüdesheim. „Ich kann euch ab jetzt von oben besser helfen“, war ihr Versprechen, das sie Pater Christian und mir gab. In unserem Kreis erkannten wir die Wahrheit ihrer Worte an Vielem was wir machten.
In Predigten hörte ich immer wieder, dass es notwendig sei sich mit seinen Gaben in der Kirche oder der Gemeinde einzubringen. Meine Heimatgemeinde bekundete allerdings kein Interesse an meinen Liedern, obwohl ich jahrelang im Kirchenchor aktiv war und meine Lieder mehrmals vorgestellt hatte – sie seien „zu emotional“ – Das verwirrte mich. Wurde Gott nicht „die Liebe“ genannt und war Liebe keine Emotion? Enttäuscht wollte ich aufgeben. Dazu kam, dass Musikexperten meine Lieder als „nicht medientauglich, zu schwer verdaulich und zu langweilig“ zerrissen“.
Für mich war das eine Prüfung. Wem vertraute ich mehr, ihnen oder Gott? Konnte ich meine Selbstzweifel Gott zuliebe überwinden? Nun griff Pater Christian ein, der sich bis dahin zurückgehalten hatte, um mich meiner eigenen Gemeinde nicht zu entfremden. Er forderte mich auf, in seinen Gottesdiensten zu singen. Jetzt musste es sich zeigen, ob ich Gott soweit vertraute, um meine Panik vor der Öffentlichkeit zu besiegen.
Die größte Ermutigung erhielt ich durch Menschen in Ausnahmesituationen. Sei es in Behindertenheimen, Initiativen gegen sexuellen Missbrauch, in Obdachloseneinrichtungen oder in Entziehungsanstalten – von diesen Menschen wurde ich aufgenommen, und sie fühlten sich durch die Lieder von mir verstanden. Ich sang auch mehrmals in der großen Männervollzugsanstalt (JVA) in Thüringen. Einige der Gefangenen gründeten daraufhin eine Musikgruppe. Oftmals überforderte mich die ganze Entwicklung, ich schien ihr ausgeliefert zu sein. Dann schickte mir Gott Menschen, die sagten: „Heute haben wir eine heilige Stunde erlebt“ oder „diese Lieder sind Brot und Wein“. Dann schämte ich mich für meine Zweifel und Schwäche.
Als die Nachfrage nach einem Liederbuch aufkam, ergaben sich neue Probleme, sowohl praktischer als auch finanzieller Art. Pater Christians aufmunternde Worte: „Gott wird auch dafür sorgen“, beruhigten besonders meinen Mann anfangs keineswegs. Doch tatsächlich tauchte wie aus dem Zauberhut eine Organistin auf, die uns wertvolle Unterstützung im musikalischen Bereich leistete, da ich hierin völlig unbedarft war. Es entstand mein erstes, einfaches Liederbuch „Berührungen“. Meine Mutter die schon lange den Wunsch hegte, gemeinsam mit mir etwas zu gestalten, unterstützte mich großzügig mit ihren Bildern und auch finanziell.
Nach dem Pater Christian sah, was sich im Laufe der Zeit durch die Lieder entwickelte und danach drängte, sich zu entfalten, bat er um Rückversetzung in den Rheingau. Als wir noch ganz ratlos auf den Wunsch der Menschen nach einer CD reagierten, eröffnete ein ehemaliger Kollege meines Mannes gerade ein Tonstudio. Mit großem Elan und Begeisterung nahmen wir diese neue Herausforderung an und brachten die erste, ganz dilettantische CD „Berührungen“ heraus bei der ich auch noch selbst Gitarre spielen musste.
Als die Weiterarbeit dort stagnierte, wurde uns das Studio von Wolfgang Stamm in Wiesbaden empfohlen. Durch seine ruhige, freundliche Art und seine Aufmunterung: „Kein Problem, das kriegen wir schon hin“, trug er ganz wesentlich zu unserer musikalischen Entwicklung bei.
Besonders auffallend war damals Gottes Zeitplan. Die erste CD hätte ohne die Sabbatzeit Pater Christians nicht entstehen können und ohne die zeitgleiche Pensionierung meines Mannes wären Auftritte und Reisen unmöglich gewesen, denn er war für die Technik, Aufbau und praktische Abläufe unersetzlich. Pater Christian fühlte sich angespornt Texte zu schreiben, die ich mit Freude vertonte. Wer in unserer Gruppe nicht musisch begabt war, unterstütze den Kreis mit seinen praktischen Gaben. Mein Anliegen, Menschen Mut zu machen, ihre von Gott verliehenen Gaben zu erkennen und einzusetzen, wurde erfüllt. Wie all die anderen, lernte ich durch die Aufgaben, die die Lieder an mich stellten, ganz neue Stärken und Fähigkeiten an mir kennen und ihnen mehr und mehr zu vertrauen. Doch immer wieder wurde dieses Vertrauen geprüft.
Ließ ich mich durch Worte wie: „Ach, wieder so eine „Möchtegern-Emanze, die ihre pseudochristlichen Lieder zum Besten geben will“ oder „Gott nahm in seiner Großmut auch schon einmal eine Eselin als Botin“ entmutigen? Traf es mich, als „Abtrünnige“ meiner Konfession betrachtet zu werden, die ich nicht war? Hemmten mich die zweideutigen Blicke, die Pater Christian und mich gelegentlich trafen oder das Unverständnis hinsichtlich unserer Arbeit? Waren die Unterstellungen richtig, ich wolle mich selbst darstellen, ließe anderen keine Entfaltungsmöglichkeiten und spanne sie nur vor meinen Karren?
All das tat weh, und oft war ich versucht aufzugeben. Doch war es nicht das alte Muster, dem ich somit zu verfallen drohte? Nicht an mich und Gottes Hilfe zu glauben und entmutigt aufgeben? Die vertrauensvollen Blicke meiner Gefährten und das Angerührt sein vieler Menschen hielten mich zurück. Heißt es nicht: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Daran maß und orientierte ich mich. Es ging um die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Lied in dieser speziellen Form und nicht um einen Musikverein, in den man unterschiedliches Liedgut einbrachte.
Heute stehe ich oft voller Staunen vor dem, was sich seit meinem ersten Lied alles ereignet und entwickelt hat. Oft fand ich Gottes Zumutung, zum Beispiel vor 40 Ordensschwestern, die sich in Schweigeexerzitien befanden, zu singen oder mich im Altarraum einer Kirche der Öffentlichkeit präsentieren zu müssen, allzu hart. Viel lieber hätte ich von der Empore aus gesungen. Die Zuhörer sollten nicht durch meine Person von der Botschaft der Lieder abgelenkt werden.
Doch Gott hat mich beharrlich an seinen Auftrag, Zeugnis seiner Liebe und Treue abzulegen, herangeführt. Ich habe JA gesagt, wenn auch oft unter Protest und Klagen. Stets wusste ich allerdings – aus eigener, schmerzhaften Erfahrung, dass es keinem Menschen gut tut, sich gegen seinen Wege zu sperren. Ein Priester fasste meinen Glauben in die Worte:
„Jeder Mensch trägt in sich Gottes Gencode, dem er folgen muss“.
Gott verfolgt bei jedem Menschen einen Plan und lässt nicht locker. Denn jedes Lebewesen hat eine große Sehnsucht – in dieser Welt willkommen zu sein, sich angenommen zu fühlen. Wenn ich dieses Bibelzitat ernst nehme, dann besitzt mein Leben ein unerschütterliches Fundament, dann vertraue ich Gottes Wort:
„Du bist wertvoll in Meinen Augen und Ich liebe dich.“
Nur aus dieser Wertschätzung mir gegenüber kann ich die Forderung Jesu erfüllen:
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Durch meine Lieder führte ich einen Dialog mit Gott und lernte so diese Wertschätzung.
Was habe ich also nun durch und mit meinen Liedern gelernt? Folgendes Bibelzitat verdeutlicht das am besten:
„Du hast mich geschaffen mit Leib und Geist, mich zusammengefügt im Schoß meiner Mutter, dafür danke ich Dir. Es erfüllt mich mit Ehrfurcht. An mir selber erkenne ich: Alle Deine Taten sind Wunder! Ich war Dir nicht verborgen, als ich im Dunklen Gestalt annahm. Du sahst mich schon fertig, als ich noch ungeformt war“ (vgl. Psalm 139).
Ich erzähle meine Lebensgeschichte so offen und ausführlich, damit Menschen in Not sich mit mir identifizieren können, und nicht denken, meine Lieder seien aus einer heilen Welt heraus entstanden. Doch niemand soll mich meines schweren Schicksals wegen bedauern. Ich habe es niemals als solches empfunden.
Es gibt jedoch einen weiteren Grund, der mir nun von Gott gezeigt wird. Ich möchte die Mauer des Schweigens aus Angst, Verzweiflung und Scham durchbrechen, die jahrzehntelang kriegsbedingt auf meiner Familie und mir gelastet hat.
Ich möchte stolz sein dürfen auf meinen Vater, Alfred Jundt, dessen Namen aus den Analen getilgt wurde – und den ich deshalb jetzt in meinem Künstlernamen trage. Ich möchte von ihm sprechen und ihn dadurch aufleben lassen, der mich in einem Brief zärtlich seine kleine Prinzessin nannte und ein stummes Martyrium ertrug, um mich und meine Mutter zu schützen. Ich erkenne heute sein Erbgut in meinen Kindern wieder.
Ich möchte meine Mutter aus der Schande befreien, die Menschen über sie gossen und die sie stumm ertrug, um meiner und Gottes Willen. Von ihr lernte ich dennoch das Lachen, den Halt in Gott und die innere Freiheit. In ihren Bildern verarbeitete sie ihre bedrückende Vergangenheit und immer war ihre größte Sehnsucht rehabilitiert zu werden. Ich konnte ihr diese Bitte erfüllen, indem ihre Biografie und ihre Kunstwerke – nun in Museen und ganz besonders in ihrer Heimatstadt Hermannstadt/Sibiu im Brukenthalmuseum veröffentlicht werden.
Ich möchte meine Großmutter Martha Stollberg, gesch. Scheiner, verwitwete Briebrecher ehren, die tapfer und würdevoll ihr sehr hartes Schicksal ertrug, sich für uns geradezu aufopferte damit wir überleben konnten und mich dadurch Tapferkeit lehrte.
Und ich möchte einer unbekannten Stiefschwester, Margot, gedenken, die es nicht über sich bringt, mich anzuerkennen und kennenzulernen und die ich so gerne in mein Herz geschlossen hätte. Außerdem eines ein Jahr älteren Stiefbruders von dessen Existenz ich erst mit 50 Jahren erfuhr da meine Mutter immer dachte meinen Vater schützen zu müssen und der angeblich nach seiner Geburt in Deutschland adoptiert wurde. Möglicherweise sucht er verzweifelt nach seinen Wurzeln. Doch allein die Vornamen Manfred und der seiner Mutter Grete aus Hermannstadt sind mir bekannt.
Gott war der Vater, der sein Versprechen gehalten hatte:
„Ich habe dich je und je geliebt, darum habe Ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“ (Jer 31,3)
und Jesus war mein vermisster großer Bruder, der meine Seele vor den Schrecken der Welt bewahrt hatte. Ja, ich habe Ströme von Tränen vergossen, sehr viel Angst, Kummer und Schmerzen erlitten. Ja, ich war ganz oft einsam und fühlte mich selten verstanden. Dennoch war ich nie allein. Stets spürte ich Gottes warme und feste Hand, und seine Schutzengel in Menschengestalt waren an meiner Seite. Ich habe die Einsamkeit, der jeder Erdenbürger letztendlich ausgeliefert ist und das „Nichtverstandensein“ angenommen.
Die brennende Sehnsucht, die mich ein Leben lang umgetrieben hat, war Gottes Ruf, um auf seinen Weg zu gelangen und ihm zu dienen. Die quälende Liebeskraft, die ich an Menschen verströmen wollte, und die davor zurückschraken – diese Liebeskraft, die ich darum immer als Fluch empfand – verhinderte, dass mein Herz im Leid und Selbstmitleid erstickte und erkaltete. Erst im Vertrauen zu Gott hin fand sie ihr Ziel und ihre Erwiderung und kann heute ohne Erwartungen zurückfließen zu den Menschen. Wenn wir Gott zu unserer Mitte machen, dann fällt es uns zunehmend leichter, Seine sehnsüchtige Bitte zu erfüllen:
„Sing mit mir ein Lied des Friedens“.
Um mich besser kennenzulernen, zeige ich auf den Seiten eine Chronik meiner Familie, gebe Einblick meiner Person und erzähle ausführlich mein Lebensweg. Meine Lieder und Geschichten entstanden aus persönlichen Situationen und Erlebnissen. Ich möchte anderen Menschen, die Trost und Unterstützung brauchen, damit Impulse geben und Mut machen.