Karin Schneider-Jundt – Liedermacherin & Autorin im Rheingau

Illustration einer Sonne

Karin Schneider-Jundt ⋅ Liedermacherin & Autorin

Zu meiner Person: Auswanderung nach Deutschland

Karin Schneider-Jundt - Liedermacherin und Autorin

Karin Schneider, geborene Scheiner / Jundt

Logo Flügel Karin Schneider-Jundt

Kapital 4: Auswanderung nach Deutschland

1958 erhielten wir nach jahrelanger Beantragung und ohne jegliche finanziellen Rücklagen

1958 erhielten wir nach jahrelanger Beantragung und ohne jegliche finanziellen Rücklagen die Erlaubnis zur Auswanderung nach Leipzig und lebten dort – vier Generationen eigenwilliger Frauen – zwei Jahre lang zeitweise in zwei Zimmern. Keiner konnte Nachbarn, Freunden, selbst Familienmitgliedern trauen. Wohnungen wurden verwanzt, alles ausspioniert.

Für mich waren diese beiden Jahre in Leipzig allerdings mit die glücklichsten meines Lebens. Ich war eine gute Schülerin, wäre gerne Pionier geworden, fuhr alleine mit der Straßenbahn zu den Chorproben des Leipziger Rundfunkkinderchores, wohin mich meine „Uri“ angemeldet hatte. Abends rief sie mich immer in ihr Zimmer, damit wir gemeinsam den Gutenachtgruß für die Kinder hören konnten. Und ich war täglicher Besucher mit Dauerkarte des Leipziger Zoo, wo mich meine aufgeregte Großmutter oft suchte, wenn ich aus der Schule nicht heimkam, weil ich die Zeit völlig vergaß bei meinen tierischen Freunden, die mich schon erwarteten.

Und ich hatte eine echte Freundin, Veronika Loyda. Ihr Vater war ein bekannter Rundfunksprecher und die Mutter eine sehr beschäftigte Künstlerin. Darum lebte sie bei ihrer Großmutter wie wir in der Menckestraße, wo sich das berühmte Gholiser Schlösschen befindet. Meine Urgroßmutter und meine Großmutter waren ständig in Angriffsstimmung, weil Uri ihrer Tochter unterschwellig nie verzeih, dass sie damals einfach nach Rumänien mit dem „Schurken“ abgehauen war. „Was ist das wieder für ein Schweinefraß“ schimpfte sie beispielsweise über die siebenbürgischen Gerichte, die meine Großmutter uns kochte.

Kurz vor dem Mauerbau flohen wir – ohne meine Urgroßmutter,

Kurz vor dem Mauerbau flohen wir – ohne meine Urgroßmutter, die uns verraten hätte, weil sie fest an den Kommunismus glaubte – nach Westberlin. (Für meine Urgroßmutter waren die Russen die Retter, die Deutschland, die DDR, von Hitler befreiten. So wie für den Westen die Amerikaner die Retter waren. So entstand ja die Teilung Deutschland in Ost und Westdeutschland.) Auch mir wurde nichts von der geplanten Flucht erzählt, weil ich mich mit Händen und Füßen gewehrt hätte, sondern nur gesagt, dass wir einen Urlaub bei Bekannten machen würden. Wir landeten in dem riesigen Auffanglager Marienfelde. Dort wurden alle Flüchtlinge zur Sicherheit von den Amerikanern verhört. Als meine Mutter dazu in eine schwarze Limousine steigen sollte, brach sie schreiend zusammen und musste in eine Klinik eingeliefert werden.

(Für mich sind allerdings bis heute einerseits die Amerikaner unsere Retter, die dem verhassten Hitlerdeutschland Hilfspakete abwarfen um ihnen zu helfen, andererseits bin ich dennoch auch unterbewusst aus der Zeit in Leipzig davon beeinflusst, dass die Russen die ex DDR von den Nazis befreiten. Auch hier sitze ich wieder zwischen zwei Stühlen, denn es sind die Menschen, die ich kennen und lieben lernte und nicht die Regierende, die untereinander Machtkriege führten. So wie meine Mutter Russland und die Ukraine.)

Meine Großmutter kannte ein Ehepaar aus ihrer Jugend, das in einem schönen Haus mit Garten lebte und uns oft einlud. Dieses Ehepaar schlug vor, mich bei sich zu behalten, bis meine Leute eine endgültige Bleibe gefunden hatten, um mir diese schädliche Suche danach zu ersparen. Ich verstand das heimlich falsch und dachte sie wollten mich adoptieren. Das zementierte weiter meine Überzeugung ein, für meine Familie eine Belastung zu bedeuten, eine ihnen auferlegte Pflichterfüllung. Dieser Irrtum klärte sich erst 40 Jahre später auf. So können zeitlebens Missverständnisse das eigene und das Leben Angehöriger belasten oder gar zerstören!

Von Berlin aus begann dann eine Odyssee durch Deutschland, von Auffanglager zu Flüchtlingslager, ständige Schulwechsel, bis wir in Weingarten, Baden- Württemberg, landeten, zuerst in eine zerbombten Kaserne verfrachtet wurden, wo man später noch Überreste aus dem Krieg fand und wo ich mir auf dem Grundstück auf der Suche nach dort wachsenden Himbeeren tiefe Narben am Stacheldraht zuzog. 

Danach übersiedelten wir drei in ein Flüchtlingswohnheim, bis wir schließlich in einem rasch errichteten Häuserblock eine 3 Zimmer Wohnung zugewiesen bekamen. Der Westen musste damals für die Flüchtlingsflut so rasch wie möglich Unterkünfte und Wohnungen erstellen – die Wände unserer Wohnung waren daher noch feucht. Meine Großmutter und ich wanderten mit einem Leiterwagen kilometerweit, um irgendein Möbelstück für die Wohnung zu ergattern.

Als wir sonntags den Gottesdienst besuchten, saßen meine Großmutter und Mutter weinend

Als wir sonntags den Gottesdienst besuchten, saßen meine Großmutter und Mutter weinend in der Kirche, weil sie wegen des schwäbischen Dialekts nichts von der Predigt verstanden. Ich hingegen versuchte, mich überall anzupassen – zuerst sprachen wir in Hermannstadt den siebenbürgischen Dialekt, dann mühte ich mich in Leipzig mit dem Sächsischen ab; in der Schule redete ich perfekt Hochdeutsch, in Baden- Württemberg versuchte ich, mir den schwäbischen Dialekt anzueignen, verstand dann schließlich auch den Schweizer, Österreichischen. Durch das siebenbürgische Zungen R hörte man mich jedoch überall heraus, allerdings kann man mich bis heute nirgends wirklich einordnen.

Zeitweise lebten wir von den 90 DM Rente meiner Großmutter, weil sie meiner Mutter ermöglichen wollte, ihr einst unterbrochenes Kunststudium in München nachzuholen, dass sie auch verwirklichen konnte. Sie wurde schließlich Kunsterzieherin in Ulm. 

Durch meine Schüchternheit, meine Größe von 1,78 m, meine von meiner Großmutter umgeänderte Kleidung aus Spenden fiel ich weiterhin auf wie ein bunter Hund. Ich schämte mich, ich beneidete andere Menschen, die ich allesamt für klüger, gesünder, stärker und schöner hielt. Ein Satz, den ich von Geburt an von meiner Mutter hörte: „Unsere Karin kann das nicht. Sie ist zu naiv.“ stärkten mein Selbstwertgefühl nicht, auch wenn sie es gut meinte.

Es wurde allerdings viel für die Flüchtlinge getan, wenn ich heute daran denke. Ich wurde beispielsweise mit 12 Jahren in ein Kindererholungsheim an den Lago Maggiore verschickt. Und ich war auch einmal in einem Jugenderholungsheim im Allgäu und zwei Mal in einem Jugendort an der Nordsee verschickt. Wunderbare Zeiten und wo langjährige Freundschaften entstanden.

Traumbild 'Frühling' 1979
Traumbild 'Frühling' 1979 / Eva Maria Scheiner

In Ravensburg besuchte ich das Mädchengymnasium. Ich war oft krank, litt von Beginn der Pubertät an

In Ravensburg besuchte ich das Mädchengymnasium. Ich war oft krank, litt von Beginn der Pubertät an unter schweren Blutungen, versäumte viele Schulstunden. Eigentlich war mein Traumberuf die Verhaltensforschung, Konrad Lorenz war unter anderem mein Vorbild. Dafür benötigte man allerdings ein Biologiestudium – das schrieb mir Prof. Bernhard Grzimek auf eine Anfrage. Doch da ich durch die vielen Land- und Schulwechsel sowieso schon drei Jahre älter war als die Klassenkameraden, und in Stresssituationen regelmäßig Absencen bekam, verließ ich ein Jahr vor dem Abitur die Schule, da ich mir ein Abitur nicht zutraute. Außerdem wollte ich so bald wie möglich einen Beruf erlernen, um meine geplagte Großmutter finanziell unterstützen zu können.

Nach einem Jahr Frauenfachschule machte ich die Ausbildung in dem großen Labor Dr. Gärtner in Weingarten zur med. Laborantin und erlangte mein Diplom. Diese Zeit im Labor war mit die glücklichste meines Lebens – ich erfuhr dort zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich fähig, belastbar, klug – ja, sogar eine Führungspersönlichkeit – war. Ich bekam bald ein eigenes Labor und Anlernlinge zugewiesen und bei den jährlichen Qualitätskontrollen, die nach Amerika geschickt wurden, erhielt unser kleines Mineralienlabor als einziges keine Noten sondern ein einfaches BRAVO geschickt.

Im Kirchenchor lerne ich einen jungen Mann kennen

Im Kirchenchor lerne ich einen jungen Mann kennen, der von Beruf Buchdrucker war und gerade seinen Wehrdienst in den wieder aufgebauten Kasernen machte. Er hieß Karl Heinz wie mein Spielkamerad in Siebenbürgen, der einst zu mir gesagt hatte, dass er mich einmal heiraten würde. Er war auch wie jener etwas kleiner als ich und so hielt ich es für Bestimmung und wir verlobten uns. Wir hingen wie die Kletten zusammen und auch seine Mutter, eine Witwe mochte mich sehr gerne. 

In den Sommerferien fuhren wir auf einen Bauernhof in den Bayerischen Wald. Dort verbrachte auch ein Ehepaar aus Offenbach mit zwei Kindern und Schwiegermutter die Ferien. Der Mann war Polizeihauptkommissar bei der Wasserschutzpolizei. Ich bekam von denen im Gegensatz zu meinem Verlobten wenig mit, da ich mich scheu verkroch. Doch die Verbindung mit meinem Verlobten ging auseinander. Aber er wollte im nächsten Sommer noch einmal mit mir Urlaub dort im Bayerischen Wald machen. Ich jedoch war der Meinung ihm nicht genügen zu können und versuchte alles um in den Monaten bis zu den Sommerferien „erwachsen und würdig“ für ihn zu werden. Dort trafen wir „Zufall“ wieder die Familie Schneider, deren eigentliches Reiseziel ins Wasser fiel und sie sich entschlossen noch einmal hierher zu kommen. Dieses Mal war ich nicht mehr schüchtern und verbrachte viel Zeit mit den Leuten. Ich hielt sie für das perfekte Ehepaar, ein Vorbild für mich. Nach dem Urlaub setzte mich mein Verlobter vor der Haustür ab und verschwand. (Den Grund verstand ich nie bis er mir Jahre später anlässlich eines Besuches gestand, dass er den Anforderungen meiner Familie nicht gewachsen war. Er war ihnen als Buchdrucker für mich nicht gut genug, sollte studieren, sich weiter entwickeln.)

Das war für mich so grausam, dass ich meinem Leben ein Ende setzen wollte und mehrmals zu den Eisenbahngleisen wanderte. Oft ging ich an Bahngleise, denn der letzte Rest Urvertrauen war in mir zerbrochen. Da hörte ich zum ersten Mal bewusst eine Stimme: „Vertraue mir. Ich weiß, was für dich gut ist, auch wenn du es heute noch nicht verstehst“. Ich vertraute ihr, auch wenn der Schmerz dadurch nicht geringer wurde und mit der Familie aus Offenbach blieb ich die nächsten Jahre in Kontakt. Ich wusste, ich musste mich von daheim endlich lösen und zwar radikal, um endlich selbstständig zu werden.

Ich ging als Laborantin nach Bad Wildungen – fünfhundert Kilometer entfernt von zu Hause

Ich ging als Laborantin nach Bad Wildungen – fünfhundert Kilometer entfernt von zu Hause. 1974 heiratete ich die große Liebe meines Lebens, Helmut Schneider, dessen Ehe alles andere als so perfekt war wie ich einst annahm und zog nach Offenbach. Seine Tochter zog mit 14 Jahren zu uns. Mein Mann übernahm nun von meiner Großmutter die Aufgabe mich zu behüten. Ich wurde bis zu seinem Tod sein ganzer Lebensinhalt. Dennoch glaubte ich unterbewusst den Anforderungen einer Ehefrau, Hausfrau, Stiefmutter und evtl. einmal selbst Mutter nicht gewachsen zu sein. Ich war fest davon überzeugt, dass mich mein Mann nach ein paar Jahren verlassen würde und fiel, wie bereits erwähnt in schwerste Depressionen. 2 Mal wurde mein Kopf geröntgt, um Ursachen festzustellen. Ohne Befund. Jahrelang konnte ich die Wohnung alleine nicht verlassen. Ein normales Leben war für mich unmöglich. Meist gab man mir das Gefühl, ein Hypochonder zu sein, hysterisch, überempfindlich; man behandelte mich mit Kneippgüssen, Valium und Limbatril.

Meinem Mann verdanke ich es, dass ich noch lebe. Er blieb unerschütterlich an meiner Seite, liebte mich und so gelang es mir mich ins Leben zurück zu kämpfen. Viel halfen dabei Sätze wie zum Beispiel „Da, wo die Angst ist da geht’s lang“ von Lisa Fitz oder „man muss die Angst umarmen“. „Gut, dann fall ich halt und steh wieder auf“ sagte ich mir. Peter Lauster war sehr wichtig für mich. Wenn ich irgendwo einen Spruch hörte oder einen Tipp las, der mich motivierte, mir Mut machte, testete ich ihn, nahm ihn, egal von wem er kam. Mein Mann hingegen las das ganze Buch des Autors und fand dessen Lebenslauf oder Lebenseinstellung insgesamt negativ.

Wir bekamen zwei Töchter und meine Großmutter und meine Mutter, die weiterhin in Baden Württemberg lebten, sparten sich jeden Bissen vom Mund ab, um uns zu helfen und zu unterstützen. Meine Mutter war glücklich über ihre beiden Enkeltöchter und da wir uns ständig in finanziellen Nöten befanden, sparte sich meine Mutter jeden Pfennig vom Mund ab und zahlte meinem Mann, mir und unseren beiden Töchtern jeweils monatlich 100 Mark „Taschengeld“ wie sie es nannte.

Da wir unser Haus hier, die Urlaube bei meiner Familie in Frankreich und die Hütte ohne die Unterstützung der beiden Frauen oder später durch den Verkauf ihrer Wohnungen nicht hätten leisten können, war dieses ein stilles Leid meines Mannes das ihn gesundheitlich schädigte. Meine „Berufung“ als Liedermacherin oder die Produktion der Liederbücher und CDs schaffte ich auch nur mit Unterstützung meiner Mutter, Sparen meines Taschengeldes oder durch die Zusammenarbeit mit Pater Christian.

Zur Person Karin Schneider: Einleitung

Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Gräueltaten, die Schicksale der betroffenen Familien, all das Unfassbare ruft in

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Kapital 1: Geboren in Werchnij

Geboren wurde ich am 7. Februar 1949 um ungefähr 3:00 Uhr nachts in einem Krankenhaus in Werchnij, Kreis Woroschilowgrad/Ukraine.

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Kapital 2: Die Rückkehr nach Rumänien

Nachdem die 5 Jahre „Strafe“ abgearbeitet waren, wurde meine Mutter mit mir und den wenigen Überlebenden offiziell freigelassen und

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Kapital 3: Nach unserer Heimkehr aus der Gefangenschaft

Nach unserer Heimkehr aus der Gefangenschaft fand meine Mutter bei den Adventisten Halt, denen sie lebenslang verbunden blieb.

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Kapital 5: Was bedeutet „Heimat“ für die Nachkommen

Was bedeutet der Begriff „Heimat“ für die Nachkommen von Deportationsopfern oder Flüchtlingen – was bedeutet er für mich -

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Weitere Informationen über Karin Schneider-Jundt

Um mich besser kennenzulernen, zeige ich auf den Seiten eine Chronik meiner Familie, gebe Einblick meiner Person und erzähle ausführlich mein Lebensweg. Meine Lieder und Geschichten entstanden aus persönlichen Situationen und Erlebnissen. Ich möchte anderen Menschen, die Trost und Unterstützung brauchen, damit Impulse geben und Mut machen.