Zur Person Karin Schneider: Einleitung
Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Gräueltaten, die Schicksale der betroffenen Familien, all das Unfassbare ruft in
WeiterlesenKarin Schneider-Jundt – Liedermacherin & Autorin im Rheingau
Kapital 5: Was bedeutet „Heimat“ für die Nachkommen
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ToggleAls meine Großmutter starb, zerbrach meine Mutter innerlich und das Verhältnis zwischen ihr und mir wurde immer belastender. Natürlich liebte sie mich: „Mein einziges Kind“, wie sie mich immer nannte. Doch bei meinem Anblick begann sie sofort zu weinen, sodass mein Mann deshalb an meiner Stelle täglich oft stundenlang mit ihr telefonierte – was ich ihm hoch anrechnete. Schließlich verlangte sie, dass ich Mann und Kinder verließ, um zu ihr in das 400 km entfernte Weingarten zu ziehen. Das sei ich ihr schuldig. Schließlich hatte sie alles für mich ertragen und geopfert: Ihren Ruf, ihr Ansehen, ihre Würde.
Nachdem ich sie hierher in ein nahe gelegenes Altenpflegeheim geholt hatte, da sie einen dortigen Pflegedienst verweigerte, sorgte ich dafür, dass sie exzellent versorgt wurde – sie hatte all die Jahre nie eine einzige Wundstelle durchs Liegen. Doch ich durfte sie nur besuchen, wenn sie schlief, um sie nicht in Aufregung zu versetzen. Darum durfte ich schließlich später auch nur noch wenn sie schlief, in ihr Zimmer im hiesigen Pflegeheim schleichen, in dem sie sich trotz riesigem, inoperablem Gehirntumor drei Jahre lang qualvoll gegen den Tod wehrte. Niemand glaubte, dass sie das so lange durchhalten würde, so sehr hatte sie Angst vor den Teufeln, die sie überall um sich herum sitzen sah und die sie holen würden.
Keiner wusste, was oder ob sie überhaupt noch etwas mitbekam, hörte, sah. Doch eines Tages, als ich mit einer Bekannten ihr Zimmer betrat – sie wurde gerade gewaschen – und die Pflegerin zu ihr sagte: „Frau Scheiner, ihre Tochter ist da um Sie zu besuchen“, antwortete sie klar und deutlich: „Die will ich nicht sehen.“
So tief war ihre Verbitterung.
Alle waren entsetzt. Ich verstand sie gut.
Das sind die Folgen von Hass, Krieg und Unmenschlichkeit.
Kriege sind ein tödliches Gift über Generationen hinaus.
Sie zerfressen die Seele. Genau das geschieht jetzt erneut in meinem Geburtsland.
All das, was ich erlebt habe, werden die Kinder der Geflüchteten oder der jetzt dort Ausharrenden einst erdulden.
Was bedeutet der Begriff „Heimat“ für die Nachkommen von Deportationsopfern oder Flüchtlingen – was bedeutet er für mich – frage ich mich heute manchmal. Mit Heimat verbindet man einen Ort, wo man glücklich war, eine unbeschwerte Kindheit verbrachte. Hermannstadt und Leipzig sind für mich zwei Orte, die in mir Sehnsucht erwecken – genau aus diesem Grund. Aber ich möchte nicht wieder dahin zurück oder nenne diese beiden Orte Heimat. Manchmal wirft man mir vor, dass ich die Musik der Don Kosaken oder Wolgafischer höre und ich zu Tränen gerührt bin. Oder im Internet Videos über Hermannstadt ansehe. Es sei doch dumm und schädlich der Vergangenheit nachzutrauern. Als meine Tante Sibylle Jahrzehnte später nach Siebenbürgen reiste, kehrte sie enttäuscht und ernüchtert zurück. Weil nichts mehr so war, was sie in sehnsuchtsvoller Erinnerung behalten hatte. Meine Mutter wiederum wollte niemals dorthin zurück, weil der Ort mit dem Grauen verbunden war. Für mich gibt es keine Heimat auf dieser Erde. Menschen, die hier geboren, aufgewachsen sind, verstehen das nicht – halten mich für seltsam, einen Fremdling und damit haben sie Recht. So empfinde ich mich – irgendwie fremd, verloren aber wissend, dass ich eines Tages in meine wahre Heimat zurückkehren werde – mit offenen Armen empfangen von all den Lieben, die mich bis dahin von dort oben beschützen und leiten.
Und wie fühlt es sich an, als man mir riet, niemals alleine Zeit mit meiner Mutter zu verbringen, weil mein Anblick bei ihr meist urplötzlich die traumatischsten Momente ihres Lebens, nämlich das Lager, wachriefen und sie in einen derart gefährlichen psychischen Zustand versetzten, dass er sich auf mich übertrug, ich mich wie paralysiert nicht bewegen konnte und nur den Wunsch verspürte mich aus dem Fenster zu stürzen um dieser Situation zu entkommen? Eine zutiefst traurige Situation. Deren Ursache ich jedoch schließlich erst wirklich zu verstehen lernte, als mir Pater Christian, der das einmal fassungslos miterlebte, erklärte: „Du hast bereits im Bauch Deiner Mutter hilflos all die Schreie gehört, die Schmerzen mit gelitten, die Hungersnot eingesogen, gefühlt wie ihre Angst und Panik Dich durchströmte. Das konnte nicht durch Psychotherapie gelöscht werden, weil es nicht mehr fassbar ist.“ Meine Mutter hatte zum Glück ein Ventil, um ihre grausamen Erlebnisse zu äußern: Ihre Bilder, die jetzt in Ausstellungen Zeugnis ablegen können von dem Grauen, das sie erleben musste.
Und ich erhielt die Gnade, meine Seele in Form von Liedern zu befreien. Menschen baten mich daraufhin, diese Lieder zu veröffentlichen, mit ihnen Seminare zu halten, oder in JVA, Behindertenheimen, Entzugskliniken, bei Missbrauch initiativen oder Obdachlosen zu singen, weil ich in Worte fassen könne, wozu sie nicht in der Lage seien. Ich erkannte dadurch, dass man seine Ängste besiegen kann und jeder noch so behinderte, gestörte, andersartige Mensch ein Recht darauf hat, auf dieser Welt in Würde leben zu, denn jeder von uns ist ein Unikat und wir alle haben Behinderungen.
So entstanden auch Liederbücher gemeinsam mit meiner Mutter – mit meinen Liedern und ihren Bildern und ich berichtete von unserer Biografie. Sie sagte dazu: „Endlich werde ich rehabilitiert!“
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WeiterlesenGeboren wurde ich am 7. Februar 1949 um ungefähr 3:00 Uhr nachts in einem Krankenhaus in Werchnij, Kreis Woroschilowgrad/Ukraine.
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WeiterlesenUm mich besser kennenzulernen, zeige ich auf den Seiten eine Chronik meiner Familie, gebe Einblick meiner Person und erzähle ausführlich mein Lebensweg. Meine Lieder und Geschichten entstanden aus persönlichen Situationen und Erlebnissen. Ich möchte anderen Menschen, die Trost und Unterstützung brauchen, damit Impulse geben und Mut machen.