Karin Schneider-Jundt – Liedermacherin & Autorin im Rheingau

Illustration einer Sonne

Mutter Eva Maria Scheiner

Deportationsbericht meiner Mutter
Eva Maria Scheiner

Portrait-Zeichenbild von Eva Maria Scheiner 1959

Gestohlene Jugend

Logo Flügel Karin Schneider-Jundt

Eva Maria Scheiner hat in ihren künstlerischen Arbeiten das Trauma aus den Bergwerken von Lissitschansk und Woroschilowgrad/Russland (UdSSR, Donezbecken, Donbas) aufgearbeitet. Das Lager hat sie mit ihrer am 7.2.1949 in Werchny/Russland (UdSSR, Donezbecken, Donbas) geborenen Tochter Karin nach fünf Jahren Zwangsarbeit mit wenig Überlebenden regulär in einem Rücktransport verlassen. Der Kindesvater wurde in ein anderes Lager verschleppt und ist seit dem 18.10.1949 verschollen.

Mamas Weckruf: „Auf, es ist etwas Furchtbares passiert“

23. August 1944 Hermannstadt, Siebenbürgen, Rumänien – Mamas Weckruf: „Auf, es ist etwas Furchtbares passiert“ werde ich wohl mit meiner einzigen Schwester Sibylle nie mehr im Leben vergessen können. Denn zu Schreckliches passierte mit uns jungen Volksdeutschen aus Rumänien: die rumänische Regierung, die nun folgte (der König flüchtete) setzte sich aus Kommunisten, anderen Parteien und auch vielen Juden hauptsächlich zusammen, welche in Zeitungen dick druckten:

„Die deutsche Partisanengefahr, steckt sie nun auch in Lager, wie sie es mit uns taten, oder steckt sie zur Arbeit irgendwohin, damit sie keine Gefahr bis zur Kriegsbeendigung bilden.“

Es war ein schöner, heller Morgen, wie er nur in Siebenbürgen im August sein kann. Mitten im Krieg, der nun schon viel zu lange dauerte, und man munkelte lange herum, dass das dicke Ende noch für uns Volksdeutsche auf dem Balkan käme, aber keiner wollte es recht glauben, obwohl hier die Türken, Tartaren bzw. Mongolenstürme oft das Land überlaufen hatten. Jeder glaubte noch an den Sieg Hitlers „Blitzkrieg“, obwohl kein Grund dazu lag. Wir waren ja nur ein lustiges dreiblättriges Kleeblatt weiblicher Naturen, sehr jung, optimistisch und unerfahren auf politischem Gebiet. Wir hatten uns nicht aktiv beteiligt, obwohl es uns mehrmals vorgehalten wurde. Aber ein innerer Instinkt sagte Mama immer, wir sollten uns passiv verhalten. 

Der Putsch am 23. August hatte dem Russen die Tore in Rumänien für den Westen geöffnet. Schauernachrichten über Vergewaltigungen, Plünderungen usw. schreckten uns schon bald nicht mehr. Um 20 Uhr war Polizeisperrstunde und jeder schloss sich ein, so gut es ging. Es wurden Einquartierungen veranlasst und man musste sie nehmen. Sogar wir bekamen einen Offizier von der Luftwaffe mit Bedienung dazu, obwohl wir nicht auf der Liste standen. Aber es fehlten einfach Quartiere. Also in ein Häuschen mit 2 jungen Mädchen und einer Witwe wurde einfach ein Mann gesteckt, der mitten unter uns in dem Zimmer schlief, wildfremd, von irgendwo aus dem Osten, von der Front her. Er benahm sich noch einigermaßen. Sein Bruder, ein großer Kommunist, beschlagnahmte sogleich Mamas Fahrrad und wir sahen es nie wieder. Einige Tage darauf mussten sich alle Deutschen mit Fahrrädern melden und sie wurden abgenommen. Dann musste jeder seine Schreibmaschine mit Nummer anmelden und Radios wurden weggenommen. Für die Front kamen neue Leute in Einsatz (welche von den SS-Einsätzen zurückgeblieben waren) und alle Deutschen, Mann und Frau mussten sich bei der Polizei melden gehen. Wir erhielten dafür einen kleinen blauen Zettel. Damals munkelte man schon: Dies ist eure Anmeldung für die Russen.

Ich arbeitete damals als Stenotypistin

Ich arbeitete damals als Stenotypistin in der „Hermannstädter und Kronstädter Allgemeinen Sparkasse“ im Sekretariat. Meine Schwester in der kirchlichen Honterus-Buchdruckerei, auch im Büro als Sekretärin. Mutter war bis zum Russeneinzug Dolmetscherin bei der Deutsche Kommandantur gewesen. In der kürzesten Zeit begann der tollste Menschenfang für Arbeit: sie hatten ja die Listen von uns und nun auf dem Weg zur Arbeit, morgens, kamen einfach russische und rumänische Polizei und nahmen uns mit. Wir mussten dann zu irgendeiner Einheit für den ganzen Tag, Schmutzarbeiten leisten, z.B.: im Diasporaheim, früher ein Schülerinternat, jetzt zu einem russischen Lazarett gemacht.

Mama dachte, ich sei in der Bank, dabei wurde ich um 8 Uhr morgens eingefangen und musste den Fußboden scheuern, ekliges Geschirr spülen. Dann nahmen zwei junge Kerle uns in einen Keller, sperrten uns da bis Abend ein mit der Bemerkung, wir sollten die Spinnweben an den Wänden putzen und Staub wischen (das typische der Russen: „Spinnweben putzen“). Abends kamen die Kerle mit einer großen Flasche Wodka und wir mussten mittrinken. In der Zwischenzeit hatten wir bemerkt, dass der Keller voll mit Säcken war, in denen sich deutsches Proviant befand: Feigen, Datteln usw. Wir konnten uns daran satt essen, sonst hätten wir ja den ganzen Tag nichts zu essen gehabt. Der Russe lachte und fraß auch mit und wurde nun fröhlich und fing an zärtlich zu werden und wollte tanzen. Da hatte ich einen Einfall. Ich sagte, wir wollten nur mal aufs Klo. Draußen rannten wir wie die Tollen los bis nach Hause. Hier fand ich Mama, welche ganz aufgeregt zu mir kam und gleich fragte: „Was haben sie Dir gemacht, morgen geh ich zur Polizei, das ist eine Schweinerei.“

Dies sollte ihr zum Verhängnis werden. Sie machte sich damit bei der Polizei aufmerksam (wir wussten noch nichts von der russischen Taktik, dass man sich möglichst still zurückhalten muss), und zwei Tage darauf, ich war in der Sparkasse im Büro, kam der rumänische Diener des Offiziers und meldete: „Fräulein Eva, kommen Sie schnell nach Hause, der Geheimdienst war in der Wohnung, hat alle Schränke geöffnet und ihre Mutter mitgenommen.“

Ich lief gleich zur Schwester und dann ging es nach Hause. Es war so, wie der Mann gesagt hatte. Mir lief ein eisiger Schreck durch die Glieder, denn ich hatte vor vielen Jahren ein Buch über Russland gelesen und die Methoden der Polizei. Herr C., wie sich der Offizier nannte, ging gleich hoch, aber zu spät. Mama wurde verhört und eingesperrt und keiner durfte sie sehen. Es vergingen Tage, Wochen, endlich kam sie in das Kloster und wir durften sie sehen. Hier stand sie mit all den anderen Verhafteten: katholische Mönche, Nonnen, Leute, die sich keiner Schuld bewusst waren, aber bestraft werden mussten.

Meine Mutter wusste endlich den Grund: sie stand unter Spionageverdacht. Man habe angeblich einen deutschen Soldaten aus unserem Fenster springen gesehen, sie habe als Dolmetscherin gearbeitet und Rundfunkverbindungen aufgenommen usw. Mama, die noch immer an eine Gerechtigkeit glaubte, leugnete diese Lügen alle ab, aber nur zu ihrem Nachteil, wie mir ein Rechtsanwalt nachher sagte: Wenn sie klein zugegeben hätte, wäre für sie einige Monate Gefängnis gekommen, so wurde sie aber nach dem Lager Trg.Jiu abtransportiert (Trg.Jui war das Lager wo früher die Kommunisten interniert waren!).

Lagerserie IV (Lioneldruck)

Wir sahen den Viehwaggontransport abfahren

Wir sahen den Viehwaggontransport abfahren. Mutter stand zuversichtlich lachend im Wagen und bat noch, alles für sie zu erledigen. Aber wir konnten nichts erreichen. Im Monat 1 Paket schicken. Was nun mit dem Haus? Ich ließ es auf meinen Namen überschreiben und rannte von Pontius zu Pilatus. Alles umsonst. Inzwischen war der Offizier C. versetzt und wir bekamen den Herrn O. . Meine ganzen Verwandten Scheinerseits konnten sich nicht viel um uns kümmern. Die Großeltern waren, nachdem die Russen die Apotheke ausgeraubt, die Pistole vorgehalten, den ganzen Schmuck weggenommen hatten, mit dem letzten Geld mit Pass rechtszeitig nach Deutschland weg.

Herr W. und eine gläubige Frau W. kamen, um bei uns zu schlafen, weil wir fürchteten, in der Nacht plötzlich noch Männer ins Quartier zu bekommen. Es hatte sich doch herumgesprochen, dass nur zwei junge hübsche Mädchen da wohnten. Herr O. machte sich auch gleich an meine Schwester heran und versprach, sie vor den Russen zu schützen. Die tollsten Gerüchte gingen herum. Es seien schon Viehwaggons am Bahnhof bereit gestellt für unseren Abtransport zur Zwangsarbeit in unbekanntes Gebiet. Aber keiner wollte es recht glauben.

Eines Morgens kam eine jüdische Bekannte unseres Mieters und sagte es ihm auch. Ich war bei der Heinketante (jüngste Schwester meines Vaters) zu Besuch. Wir hatten einen kleinen gemütlichen Abend mit Tanz (die Leute waren wie toll vor Aufregung und Verzweiflung, man wahrsagte, trank und beriet sich mit gutgesinnten rumänischen Offizieren) und Hermannonkel meinte: „schaut Euch nach Arbeit hier bei den Russen in der Stadt um, ihr werdet verschleppt zur Arbeit.“ Wir waren beide sehr zart, besonders ich. Die andere Tante meinte: „Ach, es sind zwei junge, gesunde Mädel, was die anderen können, können sie auch“. (Martha Larcher). Von Mutter kamen verzweifelte Nachrichten, ob wir sie denn vergessen hätten. Onkel Julius Briebrecher sagte immer wieder: „eure Mutter seht ihr nie wieder. Die kommen im Lager um oder werden nach Russland abtransportiert.“

Es war schauerlich.

Ich wollte gerade zum Büro, da sagte eine Frau auf dem Weg

13. Januar 1945 Hermannstadt – Ich wollte gerade zum Büro, da sagte eine Frau auf dem Weg: „Ach gehen sie nicht weiter, seit heute Morgen um 4 Uhr kommen riesengroße Autos mit Schlagtüren, holen die jungen Leute aus den Wohnungen.“ Ich rannte sofort zu Sibylle in die Buchdruckerei und wir eilten zum bekannten Rechtsanwalt B., um Rat und Hilfe zu holen. Wir baten, uns doch zu verstecken. Er sagte, es sei ganz ausgeschlossen. Rumänien habe ein Abkommen mit Russland unterzeichnet, wonach anstatt Geld (Kriegsschulden) Leute zur Arbeit müssten, wohin wüsste er auch nicht. Man nahm an, an die Front. Wahrscheinlich auch in Lazarette. Wir liefen nach Hause und beschlossen, die Eisenstange vor die Türe zu geben und nicht zu öffnen. Essenvorrat hätte für ca. 1 – 2 Wochen gereicht.

Aber unser Untermieter warnte vor diesem Vorgehen. Er meinte, wir würden umkommen; denn die ganze Aktion würde so lange dauern, bis alle nach den Listen da wären. Wir hatten gehört, dass viele Leute in die Berge geflüchtet waren, versteckt usw. Aber wir waren ganz allein auf uns angewiesen. Onkel war auch schon geflüchtet und wir hatten jegliche Verbindung verloren. Jeder trachtete danach, sich in Sicherheit zu bringen. Aber der Russe ging brutal vor. Er hatte die genaue Zahl und hielt sich daran. Die Leute, welche sich versteckt hielten und nicht aufgefunden wurden, an deren Stelle wurden einfach ältere Menschen genommen, die Zahl musste voll sein.

Um 15 Uhr wurde auch an unserer Türe heftig geklopft und die Namen gerufen. Ich wollte nicht öffnen. Aber das wurde immer toller und da verlor ich die Nerven. Ich dachte: ob ich mich nun an einen rumänischen Kommunistenmann verkaufe oder mit all den andern Leidensgefährten ziehe, wie Gott will, unser Schicksal ist besiegelt. Und öffnete die Türe. Herein kamen ein junger russischer Soldat mit Gewehr und ein rumänischer Polizist. Sie setzen sich gleich auf das Sofa. Der Russe schlief ein und der Rumäne sagte, wir sollten in 15 Minuten einen Koffer packen mit Essen und Kleidung für 14 Tage. Sibylle packte eifrig 2 Koffer, ich nur einen kleinen und einen Rucksack. Es wurde immer von einer amerikanischen Kommission gesprochen, welche kommen sollte, entweder in Hermannstadt oder Bukarest.

Mit zitternden Knien verabschiedeten wir uns von der armenischen Familie (Mieter) und baten, auf die Wohnung zu sorgen und an Mutter zu schreiben. Der Alte gab uns ein Säckchen mit altem getrocknetem Brot mit und meinte, Gott würde uns wohlbehalten wieder zurückbringen, wir dürfen den Glauben nicht verlieren. Nun marschierten wir durch die ganze Stadt, alle Leute gafften, viele weinten. So kamen wir in das Corso-Kino, wo ein riesiger Menschenhaufen weinend draußen stand (alte Mütter usw.). Wir wurden in den Saal gedrängt, wo ein furchtbares Geschrei und Gestank uns fast benebelte. Nach einer Stunde erschien Herr O. (welcher Sibylle befreien wollte) und meinte, er könne nun nichts mehr machen, weshalb wir denn geöffnet hätten. Dann kam Cedi-Onkel (unser armenischer Mieter) noch mal und brachte von Familie P. Wurst, Butter, Brot und das Fräulein aus der Kantine erschien und sagte, sie werde Min-Tante (Hermine Scheiner?) mitteilen, dass wir auch hier seien.

Frauen lagen mit Schreikrämpfen, erbrachen sich, wurden abgeführt. Laute Musik übertönte alles (Lautsprecher vom Kino) und jeder musste sich melden und wurde aufgeschrieben. Auf dem Boden lag Stroh für die, welche erst am nächsten Morgen abtransportiert würden. Wir hielten uns zurück mit dem Melden, denn ich hoffte auf die Arztkommission bzw. Amerikaner. Am nächsten Tag gegen 11 Uhr kam tatsächlich eine rumänisch-jüdische Kommission. Sie rief auf, alle, wo mehrere Geschwister oder Kranke seien, könnten sich melden. Ich ging zuerst hinein und er vermerkte mich auf der Liste. Nachher kam Sibylle und kam heulend heraus, er habe festgestellt, dass sie stark und arbeitstauglich sei. Jetzt heulte ich los, denn was sollte ich allein in der Gewalt dieser Männer, wusste ich, ob sie mich wirklich hierließen oder mich sonst wohin brachten.

Lagerserie II (Lioneldruck)

Also beschloss ich, mit ihr zusammen zu fahren

Also beschloss ich, mit ihr zusammen zu fahren. Sie meinte, ich sei doch so zart, solle lieber hierbleiben und aufs Haus sorgen bis Mama vielleicht käme. Aber ich konnte doch nicht sie, die 3 Jahre jüngere, noch nie von zu Hause fort gewesene, allein ins Ungewisse fahren lassen. Also gingen wir zu den anderen im Saal. Hier spielte wieder Musik und junge Russensoldaten kamen mit Wodka. Einer küsste gleich meine Schwester und sagte, er werde sie heiraten und sie bliebe da. Ich riss sie weg und brachte sie zu einem Mann, der ganz abseits lag und vor sich hinmurmelte. Es war ein deutscher Arzt W.K. Wir sprachen einige Worte, aber er meinte nur, dass nichts mehr an der Sache zu ändern sei als Galgenhumor und: wir kämen sicher nach Russland, vielleicht sogar nach Sibirien.

Ich musste auf diesen Schreck auch trinken und wir tranken dann alles Mögliche durcheinander, lachten und heulten auf die Musik, tanzten und mittlerweile war es 20 Uhr ca. geworden. Plötzlich erscholl der Ruf: alles raus zu den Autos. Wir kletterten angeschwipst die Leiter hoch, die Türe wurde zugeschlagen und los ging es zum Bahnhof. Hier wurden wir puffend in die Viehwagons geschubst. Sibylle schrie auf, war mit dem einen Fuß zwischen Perron und Waggon gestürzt und ohnmächtig geworden. Der Waggon war schon ganz voll und alles brüllte, dass kein Platz mehr sei. Durch Sibylles Ohnmacht machte gleich der junge Frisör E. Platz und bemühte sich um sie. Mir half Herr B. (Handschuhgeschäftsmann) auf die Pritsche hinauf. Es waren Holzpritschen mit Stroh darauf und in der Mitte ein kleines Öfchen. Nicht zu vergessen: ca. 15 Grad unter null Kälte draußen und nur wenig Brennstoff. Von draußen wurde die Türe mit Eisen verriegelt und dann standen wir noch stundenlang herum, bis endlich der Zug sich in Bewegung setzte. Wir fuhren die ganze Nacht bis wir über Ploesti Bukarest liegen ließen und nördlich nach Iassy es weiterging.

Also nichts von einer amerikanischen Kommission. Hinter Iassy wurde erstmals der Waggon geöffnet und wir befanden uns auf freier Schienenstrecke. Durften austreten: links die Männer, rechts die Frauen. Durch unser Länger bleiben im Kino waren wir in ein ausgesprochenes Bauernlager geraten. Die Röcke flogen in die Höhe und man sah lauter Fallschirme auf dem Schnee sitzen. Jeder Mann konnte Frauenhintern beglotzen und umgekehrt wir Frauen die ganzen Geschichten der Männer. Nachher blieb ein dreckiges Schneefeld übrig. Sibylle wurde wieder ohnmächtig, da wir sehr schnell machen mussten, mit Postenbewachung und sie an Verstopfung litt. Nun kamen wir in große russische Viehwaggons. Sie waren etwas geräumiger; denn wir waren ca. 45 Mann in einem Waggon. Viele meinten, man würde uns über eine Brücke bringen, welche dann gesprengt würde. Andere wieder: auf irgendeinem Geleise liegen gelassen und vergast, wie die Juden.

Im Waggon: Elfi M. gegenüber. Sie weinte die ganze Zeit und sah mit einem ganz idiotischen Ausdruck zu mir. Ihre Mutter hatte kurz vor ihrem und Schwester Trudes Abtransport den Erdgashahn aufgedreht und Gift genommen. Die Mädchen mussten sie sterbend verlassen. Der Bruder war schon mit einem anderen Abtransport weggebracht worden. Elfi weinte, weinte. Neben ihr saß ein Mann und sagte, er sei TBC-ist. Sofort rückte alles vor Schreck weg und er hatte den schönsten Platz. Elfi wurde ein Jahr nach russischer Zwangsgefangenschaft nach Rumänien zurücktransportiert und hat sich wegen ihrem Rückenlähmungsleiden an einem Tag in Hermannstadt 1946 erhängt. Genauso ihr Bruder, welcher auch zurückkam und nervenkrank wurde. Nur Trudi hatte als die robusteste alles überstanden. Der TBC-ist kam nach 5 Jahren munter und fidel zurück und heiratete sogar.

Neben mir lag eine Bäuerin, welche furchtbar zu stinken anfing. Die vielen Röcke, mit denen sie ihre Menstruation abwischte, waren etwas Entsetzliches. Außerdem stellten sich die ersten Läuse ein und juckten überall. Wir erhielten die erste versalzene Krautsuppe und versalzene Pastrama, einmal am Tag durften wir raus und aßen Schnee vor Durst. Dann kam der Dolmetscher Z. mit einem Russen und verlangte alle Armbanduhren. Er meinte, wir sollten sie freiwillig geben, bekämen sogar etwas Rubel dafür. Ich hatte die Hand so ungeschickt gehalten, dass er sie gleich entdeckt hatte. Außerdem hatten wir kein Essen mehr. Alle Bauern hatten kofferweise Speck und Brot mit. Ich gab die Uhr und erhielt ca. 80 Rubel. Ein ganz schönes Geld damals. Den Ring nähte ich mir verstohlen in die Pelzmütze ein, zum Glück rechtzeitig, Herr B. war entsetzlich fettleibig und rollte schnarchend nachts immer auf mich. Ich heulte tagelang wie Elfi, denn ich musste durch das schrecklich kleine Fenster sehen, wie man die toten, stinkenden Kriegsgefangenen einfach in eine schäbige Decke warf, ein Loch grub und die mit hinein. Die bleichen Gesichter der anderen mit den großen entsetzten oder stupiden Augen kann ich nie mehr vergessen.

In Hermannstadt hatte man die ganzen Verwundeten in das Kloster (welches geräumt werden musste) gebracht und ich besuchte die Opfer. Sie lagen mit Bauchschüssen in stinkigem Eiter, mit Fieber fantasierten sie alle. Keiner konnte helfen. Ich sprach Trost zu und Hoffnung. Man brachte sie alle nach Craiova hinunter, wo sie alle unterwegs starben und irgendwo eingescharrt worden sind. O Hitler, hättest Du das geahnt? Ich glaube, Du bist wahnsinnig gewesen!

Transportweg von Eva Maria Scheiner Diercke Atlas 1957

Mittlerweile hatten wir -30 Grad Kälte und Sibylle und ich nichts mehr zu essen,

Mittlerweile hatten wir -30 Grad Kälte und Sibylle und ich nichts mehr zu essen, trinken, Grippe, Läuse. Tolle Gerüchte gingen umher. Leute poussierten sich vor Verzweiflung, andere fingen an wahrzusagen. Wir durften nicht mehr austreten. Ein Russe kam und brachte eine Axt und wir schlugen ein Loch neben dem Ofen in den Waggon. Eine Decke wurde vorgehalten und alle mussten singen, wenn einer austrat. Mal die Männer, mal die Frauen. Es stank unheimlich im Waggon. Tagsüber standen wir immer stundenlang auf freiem Feld. Aber jetzt sahen wir, dass wir mitten nach Russland fuhren. Keiner aber hatte einen Kompass und keiner erfuhr, wohin es ging. Endlich konnte einer russisch lesen und sagte, es ginge direkt an den Don, Donbass in die Kohlengegend.

Wir erschraken. Herr B. meinte gleich, wir müssten uns nur freundlich stellen, der Russe sei auch ein Mensch und wir würden eine Schneiderwerkstatt eröffnen, German Frisörladen usw. Dabei fielen die alle unter die „Kleinausbeuter“ und Herr B. starb schon nach einem Jahr im Bergwerk an Herzschlag. Herr E. hatte sich noch lange um Schwester bemüht.

Nun hielten wir auch schon mitten auf einem Bahnhof. Hässliche, graue verschmutzte zerbombte Mauern ragten aus dem Boden neben riesigen trichterförmigen Löchern (Bombeneinschlägen) vor uns auf. Gaffende Leute standen herum, in dreckigen Kufeikas, verschmierten Gesichtern, gelb, ausgehungert. Meist alte Männer oder Frauen. Oder kamen Züge mit jungen Flintenweibern, lachend, laut schreiend. Immer wieder kamen Offiziere mit Dolmetschern, um sich irgendetwas zu verlangen. Dann wurden die Kranken weggebracht. Wir waren nun schon 18 Tage unterwegs. Wir sahen erbärmlich aus und endlich war das Ziel erreicht. Man konnte es kaum fassen, endlich Boden unter den Füßen zu haben. Aber welch ein Anblick erwartete uns: ein dichter Nebel, Schnee und wieder Schnee, hässliche Leute, verschmutzt, schwarz, Ruinen, Ruinen und Soldaten, Dolmetscher, Schreie, Heulen Fluchen und Marschieren. Mit dem Kleingepäck in der Hand, das andere wurde auf Nimmerwiedersehen aufgeladen auf riesige Autolaster (mit den Kranken).

Wir schleppten uns mit Schwesterherz zum Krüppel, denn die paar Habseligkeiten wollten wir für keinen Fall gleich verlieren. Wir wurden ständig von russischen Zivilisten angesprochen: Paninka, Prodai, auf Deutsch „Herrin übergib, verkauf“. Aber ich hatte ja Rubel und gab nichts. Wir fraßen Schnee vor Durst. Endlich kamen wir auf einer Anhöhe an: Lager Lissitschansk. Aber es stellte sich bald heraus, dass hier nicht so viele erwartet wurden. Es hatten nur 2500 Platz. Da wir wieder am Schluss wankten, mussten wir weiter, zu unserem Schrecken. Denn nun ging es den ganzen Tag zu Fuß weiter bis zum Lager Melnikowa. Hier, oh Schrecken: die Gebäude hatten kein Dach. Große Blockwohnungen, lauter Pritschen drinnen, ganz feucht, gefroren und oben tröpfelte das Wasser herunter. Kein Klo: Der Brunnen. Elfi wurde gleich als Wächter davorgestellt, stundenlang, damit die Leute nicht reinfielen und Schmutz warfen. Das Bad – ein winziger Raum, zwei sogenannte Duschen, wo ein kleiner Wasserstrahl nur dann kam, wenn man vorher eimerweise Wasser oben in einen Behälter schüttete. Beim Eingang eine Öffnung, die sogenannte Entlausung, welche nie funktionierte. Also hieß es: gleich weiter marschieren zur Entlausung nach Proletarsk. Wieder die Gerüchte: dort werdet ihr vergast, es sind viel zu Viele. Also wollte keiner gehen. Unterwegs kam eine Kolonne flüsternd – es war schon stockdunkel mittlerweile geworden – und sprach – o Freude – Deutsch – es waren Kriegsgefangene, welche aus der 2. Schicht aus dem Bergwerk kamen. Sie flüsterten gleich: ihr seid in eine verteufelte Gegend gekommen, na, wir haben ja den Krieg verloren, nachdem sie schon Frauen und Mädchen anbringen.

Die ganze Nacht bis zum nächsten Morgen standen wir in der sogenannten Entlausung herum. Es war wenigstens nicht so kalt und wir schliefen stehend, hockend ein. Ein sog. Arzt und Ärztin untersuchten, ob wir Typhus, Ausschlag oder was hätten. Die Kranken wurden extra genommen. Dann begann die Einteilung in Brigaden. Am nächsten Tag wurden Dolmetscher ausgesucht, Kommunisten gefunden usw. Märsche begannen durch den Schnee, um Holz für das Dach zu holen. Kohle für Feuer. Die Badewanne wurde als Kochtopf eingemauert, wo wir die Kascha kochten. Küchenpersonal ausgesucht. Pritscheneinteilung. Wir hatten mit Sibylle nur eine Decke mit.

Ich kroch zu Dora K. unter. Unser Offizier war ein Tartar mit armenischem Einschlag. Er sagte immer: „ta bäst in Fuß“ und verliebte sich in alle Mädel. Er hatte eine krächzende Stimme und tobte und wütete: nemetzki Kultura, Schwein usw. Wir hatten alle Durchfall bekommen und Rosi kackte im dunklen Treppenhaus in die Ecke. Er zwang sie, mit ihrer Schürze den Durchfall zum Klo zu schaffen und lachte sich halbtot dabei. Das Klo lag 1 km weit. Es waren lauter Löcher, welche zufroren und daneben riesige Kaktushaufen emporwuchsen. Fast jeder fiel einmal in so ein Loch und Sibylle kam heulend, furchtbar stinkend ins Bad und konnte tagelang den Duft nicht loswerden.

Lagerserie III (Lioneldruck)

Wir wurden alle in Reih und Glied aufgestellt

Wir wurden alle in Reih und Glied aufgestellt und mussten im Schnee Turnübungen machen, damit wir nicht steif würden. Der Schauspieler Herbert Ernst Groh musste das mit uns machen und wir sangen noch Lieder dazu, damit wir fröhlich blieben. Man hatte uns Spritzen angeblich gegen Typhus und Ruhr gegeben. Aber wir merkten, dass uns allen die Menstruation ausblieb und bekamen furchtbare Ausschläge zuerst an den Händen, Hals, Bauch, Popo und Füßen. Es waren wie feurige Blasen mit Wasser gefüllt. Das Wasser wurde zu Eiter. Es bildete sich Schorf, der rutschte ab und die Wunde vergrößerte sich immer mehr. Ich habe zwei Jahre fast an dem Ausschlag gelitten. Zuletzt an den Füßen (Gelenken) entstanden kleine Löcher, wo die Fliegen Eier hineinlegten, was furchtbar stank. Die Füße schwollen ganz dick an, aber die Leute meinten, wir hätten alle das „Wasser“ von der komischen Gurkensuppe, welche es 3 x am Tag gab. Außer ihr nur noch 3 Löffel der violetten Kaschaspeise. Und das für meine schönen Rubel für die Schweizer Uhr.

Endlich hieß es (nach 3 Wochen) Arbeitseinteilung. Wir meldeten uns gleich mit Sibylle. Wir lagen in einem Zimmer ca. 40 Mädchen und Frauen. Auf einer oberen Pritsche. Ria S. war die Zimmerkommandantin. Ihr Freund war der Dolmetscher V., ein Ungar (Kommunist). Jeder kam mit Zimmerdienst dran, Treppendienst, bei den Männern Dienst usw. Wir wurden zu dem Schacht „Standard“ eingeteilt, und zwar gleich zur Nachtschicht (ich dachte, es sei eine Fabrik). Vorher erhielten wir Karten, ob wir unten oder oben arbeiten wollten. Um 02 Uhr marschierten wir los. Ich mit meinem schwarzen Mantel mit Persianerfell und Persianermütze, Seidenstrümpfe und Lederstiefelchen. Bei 35 Grad Kälte. Der Schneesturm schlug uns ins Gesicht. Wir mussten ca. 3 km laufen. Endlich kamen wir an. Was soll ich hier einen russischen Schacht beschreiben. Ganz primitiv, an einem Kabelseil gingen zwei Waggons rauf-runter und daneben konnte man laufen. Wir stolperten, glitten, fielen und gelangten auf der 1. Plattform an. Ich war nicht mit Sibylle zusammen. Herr E. meinte, es sei nicht gut zwei schwache Schwestern. Wir sollten uns teilen. 

Also kam ich aber doch mit einer Ella S. aus Bukarest von der Gesandtschaft zusammen an die Arbeit. Sie hatte schon einen leichten Nervenzusammenbruch und heulte ununterbrochen und sah mich mit ganz irren Augen an. Wir erhielten gleich einen Fußtritt, als der Schachttaufseher kam und dies sah. Mit der Schaufel konnten wir nicht umgehen, also nahmen wir die Poroda (Erdklötze) mit der Hand in den Waggon. Die Handschuhe zerfetzen gleich und wir dreckten uns ein und die Hände rissen auf. Wir wurden zum Glück am nächsten Tag getrennt und ich habe die arme Ella nur noch beim Brunnenschacht kurbeln sehen. Nach einem Jahr rutschte sie im Bad auf dem Rotz aus und fiel so unglücklich, dass sie sich den Oberschenkelknochen brach und abtransportiert wurde.

Kurz vorher hatte ich mit ihr noch einmal eine Nachtschicht gehabt, die mir unvergessen bleibt. Wir waren ganz unten beim Sprenger gewesen. Plötzlich gingen alle Lampen aus (damals hatten wir kleine Öllämpchen) und wir hörten rufen: Gas, Gas. Wir krochen schnell in ein „Loch“, wie man es nannte und schliefen friedlich ein. Als wir erwachten, waren wir ganz verschwollen im Gesicht und hörten russisch fluchen und rufen, ob noch jemand da sei, alles müsste raus. Mit Fußtritten gelangten wir an die Oberfläche. Dann schippten wir bei strömendem Regen draußen weiter und gegen Morgen tönte ganz unnatürlich eine Sirene. Ich sagte im Scherz „Du das bedeutet was, vielleicht ist der Krieg aus“. Da kam richtig eine Russin (sie kamen immer gegen Morgen mit einem Eimer und Schaufel und wühlten in der Erde nach Kohlestücken) und rief: Voina kontschil, der Krieg ist aus. Auf dem Heimweg öffneten alle Leute die Haustüren und riefen “Magiarski, magiarsk voina koncil. Skoro damoi“ und gaben uns Ladiki und Perischki zu essen.

Ich glaubte kein Wort. Aber es war doch so. Für uns sollte noch die schlimmste Zeit kommen

Ich glaubte kein Wort. Aber es war doch so. Für uns sollte noch die schlimmste Zeit kommen. Es wurden sofort 2 Reihen Stacheldraht um das Lager gezogen. Eine Kommission aus Moskau kam. NKWD erschien (mit blauen Mützen) und ein neuer Lagerkommandant, neue Offiziere. Dem einen hatten sie mit der Axt den Kopf zerschlagen. Die Oberschlesier hatten kein Sacharin mehr zu verkaufen, fingen an aufzuschwellen, hatten alle Wasser, Steinlungen usw. und verkauften nun ihre letzte Decke, weil sie glaubten, es ginge nach Hause. Die Ärmsten starben wie die Fliegen oder erhängten sich in den Pritschen oder verrieten sich gegenseitig oder wurden Kommunisten und nannten sich Polaken. Sie wussten nichts von ihrer Familie, hatten Frau und Kinder vergewaltigt zu Hause gelassen und erhielten keine Post.

Wir bekamen plötzlich die ersten Briefe aus Rumänien mit den neuen Kommissaren. Ich wurde vorgerufen und der Dolmetscher las den russischen Brief meiner Mutter vor. Sibylle heulte gleich. Dann wurde ich gefragt, ob ich russisch könne, Stalin sein Bild vorgehalten. Ich hatte keine Ahnung, wer der Mann ist. Er flüsterte etwas und am nächsten Morgen wurde ich geholt. JA, Mutter hatte geschrieben, dass sie wieder in der Wohnung sei, aber es ginge ihr nicht gut. Am nächsten Tag musste ich mit den Kommissaren nach Melnikowa zu einem Maler. Man hatte herausbekommen, dass ich ganz unproduktiv im Schacht sei und zeichnen könne. Der Maler war gerade aus Deutschland von der Front gekommen und konnte wirklich etwas. Er war hierher strafversetzt.

Er malte Stalin immer wie Hitler mit dem Daumen im Knopfloch. Aber keiner merkte das. Er brachte mir gleich Brot und Zucker und sagte: kuschet. Soviel verstand ich. Wie das schmeckte. Ich war schon ganz zum Skelett abgemagert und der Ausschlag klebte an Hose und Hemd an. Nora S. hütete bei der russischen Kantine die Schweine, die hatte es gut. Ich blieb aber nur so lange dem Maler helfen (wir malten Stalin, Lenin, weil es keine Fotos gab) für die Räume, bis im Schacht wieder Leute fehlten. Ich wurde aber versetzt und kam in den Schacht nach Proletars. Es war der weiteste Schacht, 6 km ein Weg. Sibylle war mittlerweile auch versetzt. Der neue Lagerkommandant W. hatte ein Fest veranstaltet, um zu sehen, was die Leute noch können und hätten.

Er beschenkte die Begabtesten (sie mussten tanzen und Theater spielen), darunter Sibylle. Sie hatte keinen Ausschlag und sah noch gut aus. Herr E. sorgte für sie (sie hatte alle ihre Sachen für Lebensmittel bei den russischen Mankans vertauscht). Sie tanzte wunderbar, bekam ein Kleid und musste nicht mehr in den Schacht. Man hatte sie mal ohnmächtig aus dem Brunnenschacht gebracht, wo deutsche Kriegsgefangene arbeiteten. Sie war eine große Optimistin und schimpfte immer über mich und war fest überzeugt, bald nach Hause zu können. Das gute Kind. Also arbeitete sie mit noch vier Männern auf dem Proletar-Bahnhof bei den sibirischen Baumstämmen, welche für den Schacht verladen werden mussten. So konnten wir uns kurz sehen und sprechen, wenn ich erste Schicht hatte oder die zweite Schicht anfing. Dabei erkältete sie sich sehr, die anderen bekamen alle Lungenentzündung.

Lagerserie I (Lioneldruck)

Ich lernte zu der Zeit den Partor Feodor kennen

Ich lernte zu der Zeit den Partor Feodor kennen. Das kam so. Ich war sehr geschwächt und der Lageroffizier wollte mich im Lager halten für einen neuen Posten, die nassen Kleider trocknen. Vorher hatte er mich in das dunkle Kämmerlein gerufen und verlangt, dass ich ihm dafür meine Jungfernschaft schenke. Da ich heulte und zitterte, wurde er wütend, spuckte aus und sagte, ich könne es mir bis zum nächsten Tag überlegen. Für mich gab es keine Überlegung. An meine Stelle kam die Schwester der Ria, die Angelika. Die Ärmste. Sie ist nach fünf Jahren Lager doch mit einem Kind (Jungen) von einem deutschen Kriegsgefangenen nach Hause gekommen.

Er hat dem jungen Ding die ganze Ehre genommen. Jeder wusste für welchen Preis man so einen Posten erhielt. Das ganze Küchenpersonal waren die hübschesten Bauernmädchen, jede hatte einem oder zwei Offizieren zu gehorchen. Sie schliefen alle in einem extra Raum, angeblich, weil sie sauberer sein müssten. – Der einen konnte ich im Keller wahrsagen, und erfuhr so die Wahrheit.- Sie hatte schon einige Kinder verloren oder sie wurden sogar im russischen Krankenhaus später entfernt. Als alles zu populär wurde, schob man das ganze Küchenpersonal mit einem Krankentransport in die Heimat ab, mit dem Vorwand, es wären ordentliche, fleißige, den russischen Staat gutgesinnte Mädchen gewesen. Die meisten sind unfruchtbar geblieben.

Mir bot man auch einen Küchenposten an. Er hatte mich vorher in den Keller gerufen. Aber auch dieses Angebot verweigerte ich. Sogar ein Oberschlesier V. welcher Kommunist war, versprach mir heimlich, in den Mist amerikanische Konserven zu verstecken, falls ich zeitweilig seine Geliebte würde. Ich ging weiter zum Schacht. Wir hatten Uniformen bekommen. Weiße, derbe Hosen, Jacken, Galoschen oder Schuhe. Meine Füße schmerzten. Ich bekam an den Fußsohlen Warzen und Verhärtungen. Im Sommer ging ich barfuß und die Füße eiterten ewig und waren verschwollen.

An einem Tag erlaubte mir Anton (Dolmetscher, Ungar, er ging später durch) im Lager zu bleiben. Kurz darauf war Antreten. Ich ging auch hinaus. Da war ich zu viel, er erhielt eine Ohrfeige. Ich wurde zur Strafe in den Keller gesteckt. Was heißt da Keller: es war ein Loch genau 1 m hoch und 1 ½ m breit. Ein kalter feuchter Stein; auf dem ich gekrümmt saß und heulte. An der Wand sah ich ein Loch und hörte Geräusche, ein Mann saß daneben. Ratten, Ratten, hin und her, wie Katzen so groß; im Speisesaal und Küche rannten sie auch furchtlos herum. Ich saß die ganze Nacht. Am nächsten Morgen meinte Sibylle, ich hätte herauskommen können, die Türe sei offen bei mir gewesen.

Beim Schacht war die junge Partisanin Valea. Immer wieder wollte sie, dass ich die Bauern anfeuern solle bei der Arbeit. In einer Nacht war meine Kraft zu Ende. Mein Magen schmerzte erbärmlich, ich war ständig der Ohnmacht nahe. (Ich vergas: wenn das Brot Auto im Schnee stecken blieb, mussten wir, wenn wir Morgenschicht hatten, nachts von der Pritsche die Brote schleppen. Dabei konnte man doch unmöglich vor Hunger widerstehen, etwas davon zu knabbern. Am nächsten Morgen gab es nur die Hälfte von dem glitschigen Zeug. Alles andere nur kein Brot. Die Waage: Ein Stück Ziegelstein. Immer Schwindel. Stahlen das Brot.)

Aber Marlen aus Hammersdorf sagte: „Wenn Du nicht mehr schaufelst, machen wir auch nicht mehr.“ Ich bat: „Du hast doch so lange Proviant von zu Hause gehabt, Speck, Honig usw. schau mich an“. Aber sie: „Ihr Städter sollt mal sehen, wie wir Bauern schuften müssen, ich kann auch nicht mehr, ich fall auch um.“ Da kam Valea. „Verfluchte faschistische Saboteure. Willst Du gleich!!!“

Sie schlug so fest zu, mit Händen und Füßen, dass ich wieder hinfiel. Ich schlug mit dem Kopf knapp vor dem Schachtloch auf. Da ich mich nicht erhob, sondern weinte, es war mir alles egal, hörte ich plötzlich ein Flüstern und als ich den Kopf etwas wendete, sah ich einen großen Mann verschwinden. Es war Feodor.

Hier endet Muttis Bericht über die Deportation.

Weitere Informationen über meine Mutter Eva Maria Scheiner

Ich gebe dir Einblick meiner Mutter, damit wir alle – gerade in der aktuellen politischen Situation – uns immer wieder das grausame Schicksal von Verschleppten und Flüchtlingen vergegenwärtigen und der künstlerische Nachlass von Eva Maria Scheiner möglichst in einer Retrospektive gezeigt wird.