Monat: Februar 2023

Deportationsbericht von Katharina Drotleff

Erinnerungen der Katharina Drotleff aus Großscheuern an die Russlanddeportation

Und der darunterfolgende Ausschnitt eines Berichtes einer Leidensgenossin lässt all das Unausgesprochene Grauen ahnen.

Katharina Drotleff ist heute 88 Jahre alt und lebt in einer Seniorenresidenz im Fichtelgebirge. Ihr Enkelsohn Ralph Fuss hat die „Erinnerungen von Katharina Drotleff“ in einem 65 Seiten langen Heft zusammengefasst. Die Dokumentation kann per E-Mail bei ralph.fuss[ät]gmx.de angefordert werden. Im Folgenden erinnert sich die Großscheuernerin an die Verschleppung vor 70 Jahren.

Die Nachricht vom 13. Januar 1945 war ein Schock: Packen für Russland! Alle betroffenen Frauen und Männer aus Großscheuern mussten die Sammelstelle im Schulgebäude aufsuchen. Für meine Schwester und mich packten wir den alten Holzkoffer meines Vaters, der seit dem Ersten Weltkrieg am Dachboden gelegen hatte. Der Abschied fiel sehr schwer. Ich nahm Mutter und Großmutter ein vorerst letztes Mal in die Arme. Was für ein Albtraum. Wir alle konnten die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Im Moment des Abschieds spielten sich Dramen ab. Der Schmerz der bereits durch den Krieg zerrütteten Familien war unfassbar groß. Per Lastwagen brachte man uns zunächst zum Bahnhof nach Neppendorf. Dort standen unzählige Waggons für die Weiterfahrt bereit. Einige Männer hatten sogar ihre prachtvollen Kirchenmäntel für den russischen Winter dabei. Was für ein sonderbarer Anblick inmitten dieser Tragödie. Drei lange Wochen wurden wir nun wie Vieh transportiert. Nur selten bekamen wir die Möglichkeit, uns mit Wasser zu versorgen. In den Waggons entledigte man sich der Notdurft durch ein Loch im Boden, während andere den Toilettengang mit Decken abhingen. Menschenunwürdige Szenen spielten sich ab. Während der Fahrt durch die Ukraine bemerkten wir, dass unser mitgenommenes Brot inzwischen verschimmelt war. In der Hoffnung, das Ziel bald zu erreichen, warfen wir verdorbenes Brot durch die Luken nach außen. Was wir dann sahen, konnten wir kaum glauben. Einheimische sammelten diesen Abfall auf. Langsam ahnten wir, welch’ Schrecken uns noch bevorstand.

Nach Ankunft in Dnjepropetrowsk mussten wir bei klirrender Kälte einen langen Fußmarsch zurücklegen. Als wir eine große Brücke am Dnjepr überquerten, wehte uns ein eisiger Wind entgegen. Ich dachte, vielleicht wäre ein Sprung in den Fluss das kleinere Übel. Stunden später erreichten wir das Ziel. Lager 1416 glich einem Straflager. Fünf schier endlose Baracken sollten uns Deutschen aus Rumänien als Herberge dienen. Getrennt nach Geschlechtern zogen wir dort ein. Dreistöckige Pritschen aus feuchtem Holz, die gerade erst gezimmert schienen, säumten beide Seiten im Innenraum. Bettzeug gab es nicht,

Im tiefsten russischen Winter waren wir nun gefordert, unseren Arbeitsdienst zu verrichten. Anfangs mussten wir im Krieg beschädigte Gebäude abreißen. Männer stürzten noch stehende Mauern ein, Frauen befreiten Ziegelsteine vom Putz. Eine unvorstellbar harte Arbeit bei arktischen Temperaturen. Viele Landsleute hatten diese Bedingungen unterschätzt und nur wenig geeignete Kleidung dabei. Einmal sollten wir aus dem Dnjepr herausgeschnittene Eisblöcke in einer Lagerhalle stapeln. Nach einer Stunde mussten wir völlig durchgefroren aufgeben und verweigerten die weitere Arbeit. Zur Strafe landeten wir für drei Tage in einer dunklen Zelle. Den ersten Tag gab es eine Scheibe Brot, den zweiten Tag einen Teller Suppe und am dritten Tag wieder eine Scheibe Brot. Danach wurden wir völlig ausgehungert entlassen.
Decken und Kleidung dienten als Ersatz – erst viel später bekamen wir Strohsäcke als

Zum Schutz vor der Kälte bekamen wir später „Watta-Kleidung“. Dennoch war die Arbeit bei zweistelligen Minustemperaturen eine Qual, z.B. wenn es hieß: „Schienen putzen!“ Bei dieser Arbeit mussten wir die Gleise im Industriegebiet von Dnjepropetrowsk von Kohleresten befreien, die aus den kohlebefeuerten Lokomotiven geworfen wurden. Im Winter waren wir schon vor Arbeitsbeginn durch den einstündigen Fußmarsch dorthin steif gefroren. Wenn wir die Kälte nicht mehr aushielten, gingen wir manchmal an die Koksöfen der russischen Arbeiter. Sie waren meist freundlich und machten an der Feuerstelle einen Platz für uns frei. „Wie spät ist es?“, fragten wir dann immer. Wir wollten wissen, wie viele Stunden Arbeit noch vor uns liegen. Neben der Kälte war der Hunger unser täglicher Begleiter. In der Früh und am Abend gab es immer nur Kraut- oder Gurkensuppe. Eine heiße Brühe, die nicht wirklich die Bezeichnung „Suppe“ verdiente. Wenn wir Glück hatten, bekamen wir noch zwei Esslöffel Getreidebrei. Wir leckten unsere Teller säuberlich ab, um nichts zu verschwenden. Der Hunger war danach immer noch so groß, dass einige im Küchenabfall nach Essensresten suchten oder darauf hofften, von russischen Arbeitern etwas abzubekommen. Einige Russen hatten Mitleid und gaben uns Essen ab, obwohl es vielen Einheimischen nicht viel besser ging.

Eines Tages teilte man meine Freundin Anni und mich zum Brotholen ein. Als wir gerade die Gleise überqueren wollten, kam uns ein lauter Kesselwagen entgegen. Voller Ehrfurcht hielten wir Abstand. In diesem Moment passierte ein Unglück. Auf dem nebenliegenden Gleis hatten wir eine zweite Lokomotive wegen dem Lärm nicht wahrgenommen. Das Fahrwerk der Lok riss uns beide zu Boden. Meine Knie wurden dabei bis auf den Knochen aufgeschürft. Anni wurde ebenfalls verletzt und erlitt starke Prellungen. Trotz der Schwere der Verletzungen muss ich meinem Schutzengel danken, dass uns kein größeres Unheil widerfahren ist. Die schwarzen Kohlespuren dieses Unfalls sind bis heute auf meinen Knien zu sehen.

Zur Erntezeit war ich froh, am Kolchos arbeiten zu dürfen. Diese Tätigkeit war zwar körperlich anstrengend, hatte aber wegen der besseren Verpflegung entscheidende Vorteile. Auf den großflächigen Feldern wurden Mais, Zuckerrüben und Kartoffeln angebaut. In den kleinen Gärten gab es allerlei Gemüsesorten und Melonen. Wir hatten Glück, dass unser Aufseher eine gewisse „Selbstbedienung“ tolerierte. Ausgerechnet während dieser Zeit am Kolchos wurde es für mich bedrohlich. Eine Typhus-Infektion war die Ursache. Abgemagert auf 35 kg, hatten mich viele schon abgeschrieben. Durch das sehr hohe Fieber fing ich an zu halluzinieren. Ich hörte die Stimme meiner Mutter, die mir Essen bringen wollte. Dieser Zustand fesselte mich für lange Zeit ans Bett, schutzlos ausgeliefert den Kopfläusen. Gezeichnet von der Krankheit, muss der liebe Gott Erbarmen gehabt haben. Er hat mich ohne Medikamente wieder gesund werden lassen. In unserem Lager wurden die Menschen immer schwächer, und die Krankheiten häuften sich. Wann allerdings Tote weggeschafft worden sind, kann ich nicht sagen. Man bekam dann immer nur mit, dass Personen fehlten. Besser man fragte nicht, wo diese geblieben waren.

Das letzte Jahr meiner Deportation im Lager „Sozhorod“ in Krivoy Rog wurde erträglicher. Dort lernte ich auch meinen späteren Ehemann Johann Drotleff aus Kirchberg kennen. Als wir eines Tages bei den Schamotteziegeln arbeiteten, berichtete ein russischer Arbeiter: „Ihr dürft nach Hause!“ Das konnten wir erst nicht glauben, zu oft hatte man uns schon vertröstet. Einen Tag später kam die Gewissheit. Unglaubliche Glücksgefühle kamen auf. In der darauffolgenden Nacht konnten wir vor Aufregung kaum schlafen und dachten nur noch an die Heimat. Im Oktober 1949 kam für alle im Lager „Sozhorod“ die Erlösung. Mit einem kleinen Handgepäck hat man uns zurück nach Rumänien geschickt. Die beschwerliche Heimfahrt war voller Euphorie. Im Dezember 1949 durfte auch mein zukünftiger Mann nach Siebenbürgen zurückkehren.

Katharina Drotleff

 

Deportationsbericht von Dr. Erwin Mathias Reimer

Mir kommt der Name Reimer sehr bekannt vor. Ich muss ihn als Kind von meiner Mutter gehört haben. Wahrscheinlich war sie zuimindest im gleichen Lager einst wie er.

Vor 70 Jahren fand die Deportation der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion statt

Der Zeidner Erwin Mathias Reimer war Arzt in jenen verhängnisvollen Zeiten

Von: Georg Reimer

Dienstag, 13. Januar 2015

Der Zeidner Erwin Reimer war von 1941 bis 1944 Leutnant und Arzt in einer Sanitätseinheit in der rumänischen Armee. Im Bild 1942 in Bukarest. Er wurde dennoch, wie knapp weitere 70.000 Menschen aus Rumänien, in den Donbass deportiert.

In diesen Tagen jährt sich zum siebzigsten Mal die Deportation vieler Deutscher aus Südosteuropa in die Arbeitslager im Donezbecken (Donbass) in der damaligen Sowjetunion. Anfang Januar 1945 hatten die Sowjets die rumänische Regierung aufgefordert, die arbeitsfähigen deutschstämmigen Bürger ihres Landes (Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben und Sathmarer Schwaben) zur Zwangsarbeit auszuliefern. Männer von siebzehn bis fünfundvierzig und Frauen von achtzehn bis dreißig Jahren waren betroffen. Sie wurden nach Listen, die rumänische Behörden erstellen mussten, durch gemischte rumänisch-sowjetische Patrouillen aus ihren Häusern geholt und zu zentralen Sammelstellen gebracht. Ziel war der Wiederaufbau der im Eroberungskrieg Hitler-Deutschlands zerstörten Teile ihres Landes.

Im Burzenland wurden am 13. Januar 1945 alle ausgehobenen Männer und Frauen in Viehwaggons  verladen und mit Transportzügen in die Kohlenreviere des Donbass in der Ostukraine deportiert. Ähnlich liefen die Aushebung und die Verschleppung der sächsischen und anderer ethnisch-deutscher Bevölkerungsteile in Rumänien ab. Zurück blieben die Kinder und die Alten, für die schwere Zeiten voller Ungewissheit und Existenzängste begannen. Die Transporte dauerten zehn bis vierzehn quälend lange Tage bei klirrender Kälte. Die verschleppten Frauen und Männer standen oder kauerten auf strohbedecktem Boden in den Waggons, zuletzt ohne Verpflegung, nachdem die mitgebrachte Nahrung aufgebraucht war. Ab und zu gab es eine Wassersuppe. Die sanitären Einrichtungen bestanden aus einem Loch im Boden der Viehwaggons. In Parkomuna (heute Perevalsk) im Donbass , unweit von Alschewsk (damals Woroschilowsk) in der Ostukraine war Endstation für die Verschleppten. Sie verließen die Waggons und wurden auf die kaltfeuchten Baracken der mit zwei Reihen Stacheldraht umgebenen, militärisch bewachten Zwangslager verteilt. Es folgten fünf Jahre erzwungener Schwerstarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen, verbunden mit physischen und psychischen Gewaltanwendungen auch als Vergeltung für die Verbrechen Hitler-Deutschlands in der Sowjetunion.

Dr. Erwin Reimer aus Zeiden/Codlea im Burzenland war einer der Verschleppten. Er war von 1945 bis 1949 alleinbetreuender Arzt in zwei Arbeitslagern in Parkomuna mit mehr als eintausend Deportierten, davon über siebenhundert Sachsen aus dem Burzenland, zweihundert Oberschlesier sowie einhundert Deutsche aus Ungarn. Unter primitiven Bedingungen kämpfte dieser junge Arzt zusammen mit drei deportierten sächsischen Krankenschwestern in einem notdürftig eingerichteten Lazarett mit hundert Betten ohne ausreichende medizinische Mittel gegen Krankheiten und das Sterben durch Verhungern, durch Seuchen wie Typhus und Bakterienruhr sowie gegen die Folgen von schweren Arbeitsunfällen in den mangelhaft gesicherten Kohlegruben im Donbass. Er konnte viele nicht retten. Diejenigen, die nach Siebenbürgen heimkehrten oder damals gegen ihren Willen nach Deutschland abgeschoben wurden, dankten ihr Leben lang diesem sich aufopfernden Arzt für sein Helfen.

Erwin Mathias Reimer (1915 bis 2000) wurde in Zeiden, damals noch Österreich-Ungarn, geboren.  Auffallend klug und begabt, besuchte er das Honterus-Lyzeum in Kronstadt, studierte in Bukarest von 1933 bis 1939 Medizin während politischer Wirren und antisemitischer Pogrome, unter denen er auch zu leiden hatte. Einmal wurde er von Mitgliedern der Eisernen Garde, die ihn für einen Juden hielten, beinahe totgeschlagen. Im letzten Moment erkannte einer der Legionäre in ihm den Siebenbürger Sachsen, mit dem er zusammen studierte. Nach dem Staatsexamen und der Promotion 1940 folgte Anfang 1941 ein verkürztes Pflicht-Jahr als Landarzt in der Dobrudscha zur Malaria- und Fleckfieberbekämpfung. Ein Jahr vorher waren die Dobrudscha-Deutschen, als nicht überlebensfähige ethnisch-deutsche Minderheit eingestuft, „heim“ ins Deutsche Reich geholt  worden. Erwin Reimer erzählte später von ihren verlassenen, dem Verfall preisgegebenen Kirchen und Friedhöfen. Im Sommer 1941 folgte die Einberufung in die rumänische Armee als Arzt im Rang eines Leutnants, zuletzt in der Sanitätseinheit der 3. Gebirgsartilleriedivision Rosenau/Râşnov. Er nahm am Russlandfeldzug teil, der ihn bis Sewastopol auf der Krim führte, eine Zeit, die er vorwiegend in Frontlazaretten und auf Lazarettzügen verbrachte.
Unterbrochen wurde dieser Kriegsdienst durch zwei Heimataufenthalte von jeweils drei Monaten 1942 und 1943. Nach drei Jahren Kriegsdienst wurde er unverhofft aus dem Militärdienst entlassen. Da alle Juden in jener Zeit aus der rumänischen Armee ausgeschlossen wurden, erkannte er die Gefahr für sich und wollte eine Bescheinigung seiner Volkszugehörigkeit nachreichen. Dieses Dokument wurde ihm von lokalen Vertretern der deutschen Volksgruppe verweigert. Ein rumänischer Notar attestierte seine ethnische Identität bereitwillig.

Die deutsche Volksgruppe in Rumänien mit Sitz in Kronstadt war eine vom faschistischen Regime Antonescu geduldete, durch das nationalsozialistische Deutschland eingesetzte Selbstverwaltung für alle ethnisch Deutschen in Rumänien. Diese NS-Selbstverwaltung betrieb eine ideologische und organisatorische Gleichschaltung der ethnisch-deutschen Minderheiten in Rumänien. Ein Ziel dieser NS-Selbstverwaltung war die Rekrutierung wehrfähiger „volksdeutscher“ Männer in die Waffen-SS zur Teilnahme am nationalistisch-ideologisch geführten Krieg im Osten und auf dem Balkan. Trotz Repressalien und Drucks weigerte sich Erwin Reimer beharrlich, seine rumänische gegen eine  deutsche SS-Uniform zu tauschen, auch mit dem Hinweis auf seinen abgelegten militärischen Eid. Er hörte, dass alle Frauen und Männer in Siebenbürgen, die sich dem ethnisch-deutschen Bevölkerungsteil zugehörig fühlten, als sogenannte „Volksdeutsche“ nicht nur einen Ahnenpass anfertigen lassen mussten, um etwa jüdische Vorfahren aufzudecken, sondern sich auch einer rassischen Evaluation zu unterziehen hatten. Er erfuhr, dass mehrere körperlich und geistig behinderte Kinder aus Zeiden, auf Drängen der deutschen Volksgruppe ins Deutsche Reich verschickt, auf dem „Genesungsaufenthalt“ verstorben waren. Er erfuhr, dass Anhänger der deutschen Volksgruppe seinen Vater wegen kritischer Äußerungen über den Nationalsozialismus erschießen wollten. Er erkannte die verbrecherischen Züge des nationalsozialistischen (NS)  Regimes im Deutschen Reich und die der deutschen Volksgruppe in Rumänien. Dr. Erwin Reimer wurde ein überzeugter Gegner der NS-Ideologie. Dr. Fritz Klein, auch ein Arzt aus Zeiden, hingegen ging 1943 zur SS, war als Lagerarzt in Auschwitz und Bergen-Belsen an Selektionen beteiligt, wurde 1945 in Lüneburg vom britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und gehängt.

Die Nachricht vom Staatsstreich am 23. August 1944 und die Entmachtung Marschall Antonescus unter Mitwirkung Königs Mihai I., die den sofortigen Frontwechsel Rumäniens zur Folge hatte, wurde den Offizieren des Regiments, in dem Erwin Reimer diente, bei Târgu Jiu in Oltenien mitgeteilt. Überlegungen, sich den rückflutenden deutschen Einheiten anzuschließen, verwarf er schnell. Obwohl sie rumänische Staatsbürger waren, mussten alle in der rumänischen Armee dienenden deutschstämmigen Soldaten und Offiziere per Tagesbefehl am 15. November 1944 entlassen, verhaftet und den Sowjets übergeben werden. Um ihnen die Flucht zu ermöglichen, erhielten Erwin Reimer und weitere Deutschstämmige vom vorgesetzten Hauptmann in der Division einen drei Tage rückdatierten Entlassungsbefehl. Er war bis Weihnachten 1944 in Bukarest bei Freunden untergetaucht und ging dann doch zurück nach Zeiden aus Sorge um seine Familie, da Gerüchte, alle Rumäniendeutschen müssten nun büßen, kursierten. So kam er Anfang 1945 ebenfalls auf die Liste der zu Deportierenden.
Ende 1949 wurde Erwin Reimer als einer der letzten Zwangsdeportierten aus den Arbeitslagern Schachta 5 Bis und Delta mit den Arbeitsbataillonen 1206, 1207, 1208 in Parkomuna im Donbass in der Ostukraine entlassen. Es gelang ihm, heimlich angefertigte Abschriften der Krankenunterlagen aller Patienten aus dem Lagerlazarett in die Heimat mitzunehmen. Sie sind heute noch eine eindrucksvolle und beklemmende Dokumentation des Leidens und oft auch Sterbens der Deportierten in den Zwangslagern im Donbass.

Wieder daheim in Zeiden in einem zwischenzeitlich kommunistischen Land – Kronstadt hieß damals Stalin-Stadt – wurde Erwin Reimer als Sohn eines zum Großbauern (chiabur) erklärten Vaters wie dieser politisch verfolgt, gedemütigt und drangsaliert. Er musste als Röntgenarzt bei mangelhaftem Strahlenschutz arbeiten, wurde krank und berufsunfähig. So beantragte er mit seiner Familie die Ausreise in die Bundesrepublik, die 1964 gelang. Er wurde Arzt für Innere Medizin und ließ sich 1969 in eigener Praxis nieder. Nach Aufgabe seiner ärztlichen Tätigkeit 1984 war er vereidigter Dolmetscher der rumänischen Sprache.
Zeit seines Lebens beklagte Dr. Erwin Mathias Reimer den Verlust der Heimat Siebenbürgen und war oft besuchsweise wieder dort, zuletzt im Herbst 1990. Die Erinnerungen an die guten und schweren Zeiten in seiner alten Heimat wurden überschattet vom Erlebten als Lagerarzt im Donbass in der Ostukraine. Vor allem das Leiden und das Sterben der gequälten Landsleute hatte ihn nicht mehr losgelassen. Die Deportation der jungen Siebenbürger Sachsen zur Zwangsarbeit in den Kohlegruben des Donbass in der Sowjetunion war für ihn die Konsequenz des verhängnisvollen Wirkens der deutschen Volksgruppe in Rumänien als willige Vollstrecker der menschenverachtenden NS-Ideologie Hitler-Deutschlands, die sich auch gegen das über Jahrhunderte gewachsene ausgewogene Zusammenleben der verschiedenen Völker in  Siebenbürgen (Rumänen, Ungarn, Szekler, Juden, Zigeuner) richtete und dessen Gleichgewicht zerstörte.

Hier sah er den Anfang des Untergangs der Siebenbürger Sachsen als geschlossene ethnische Minderheit im Karpatenbogen. Er sah keine Hauptschuld bei Rumänien, das letztendlich ebenfalls in den Abgrund einer kommunistischen Diktatur gezogen wurde. Ein Aufarbeiten der NS-Vergangenheit führender Mitglieder dieser deutschen Volksgruppe in Rumänien hatte er stets gefordert und eine gerichtliche Klärung ihrer Schuld. Erwin Reimer hatte einige von ihnen nach seiner Umsiedlung 1964 in der jungen Bundesrepublik wieder angetroffen, manche in leitenden Positionen bei der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen jener Zeit. Sie hatten sich rechtzeitig ins „Reich“ absetzen können und ihre Landsleute in Siebenbürgen ihrem Schicksal überlassen. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit dieser deutschen Volksgruppe in Rumänien wurde den Historikern überlassen. In der Landsmannschaft in der Bundesrepublik wurde diese braune Vergangenheit konsequenterweise anfänglich tabuisiert und später kleingeredet. Glaubhafte Ansätze, dies zu ändern, sind heute erkennbar.

Erwin Reimer hatte stets und vehement eine angemessene Entschädigung von der Bundesrepublik Deutsch-land, dem „Nachlassverwalter“ des Dritten Reiches, nicht nur für alle Opfer der NS-Gewaltherrschaft allgemein verlangt, sondern auch für die Opfer der Siebenbürger Sachsen in der Deportation und der Zwangsrekrutierung in die Waffen-SS im Besonderen. Ab dem 2. Juli 2013 erhalten nun alle in die Sowjetunion Zwangsverschleppten jener Zeit auf Antrag eine monatliche  Entschädigungsrente aus Rumänien, wahrlich eine bemerkenswerte Geste einer Wiedergutmachung.

Einzug der deutschen Truppen in Großpold Anfang 1941.
Für Rumänien beginnt der Krieg 1941 mit dem Einmarsch seiner Truppen in die Sowjetunion an der Seite der deutschen Wehrmacht. Bereits im Dezember 1940 waren die ersten deutschen Soldaten in Großpold einquartiert worden, und wieder, wie schon ein Vierteljahrhundert vorher, waren sie freundlich aufgenommen worden. Eine andere bei der Ankunft der ersten deutschen Soldaten entstandene Fotografie zeigt, dass auf dem Großpolder Marktplatz nicht nur deutsche Ortsbewohner zum Empfang gekommen waren, sondern auch festlich, in ihrer Nationaltracht gekleidete Rumänen.